Galerie Mezzanin

Ja,

ich weiß, ich halte Sie nur vom langen ,wohltuenden Spaziergang ab. Es ist aber notwendig, dass ich etwas sage – es kommt gar nicht so sehr darauf an, was – um die Ausstellung – nennen wir es eine Ausstellung – in der Wirklichkeit, in Ihren Köpfen zu verankern. Ohne mich , seien wir ehrlich, ohne meinen Auftritt hingen hier Fotografien wie sonst irgendwo Fotografien an der Wand hängen, nicht zum ersten Mal in der Geschichte des Klinik- oder des Museumswesens – und wären verloren.

 

Es ist ein ganz eigen Ding um die Wahrnehmung, also dass die Dinge ohne Verankerung, ohne Referenz, Verpackung, Umgebung oder dergleichen gar nicht ernst genommen werden, über den Umweg einer Ablenkung, mit Hilfe eines Widerstandes aber sehr wohl. Es käme also gar nicht so sehr darauf an, was ich sage, ginge es nur um mich, um den Erfolg der Ausstellung. Es geht aber nicht um mich. Wir befinden uns ja in einer Klinik. Es bietet sich uns die einmalige Chance, von hier aus die Welt zu – heilen sagt sich nicht so leicht – zu verbessern. Klinik kommt aus dem Griechischen. Für diejenigen, die vergessen haben, was im Duden 7, dem Herkunftswörterbuch, unter Klinik steht, zitiere ich:

“Krankenhaus“: Das seit dem 19. Jh. – zuerst in der Bed. “Anstalt zum Unterricht in der Heilkunde“ – bezeugte Fremdwort geht auf griech. klinike techne “Heilkunst für bettlägerige Kranke“ zurück. Zugrunde liegt das griech. Substantiv kline “Lager, Bett“, das von dem mit dt. lehnen anverwandten Verb griech. klinein “(sich) neigen, (an) lehnen, beugen“ abgeleitet ist. Andere Bildungen von griech. klinein sind z.B. griech. klima “Neigung, Abhang, Himmelsgegend, geographische Lage, Zone“ (Klima und akklimatisieren) und griech. klimax “Treppe, Leiter“ (Klimakterium).

 

Neigung. Abhang. Sehr gut! Gelnhausen ist also eine Klinik. Und über Fotografie wird so schlecht geredet, schlecht im Sinne von übler Nachrede und schlecht im Sinne von falsch, dass es schon eine Krankheit ist. Da wird Wirklichkeit eingefangen, abgebildet, Bilder werden geschossen und allgemein lügt die Fotografie oder sie ist objektiv, je nach Bedarf. Und nicht am Stammtisch, sondern in Theoretikerkreisen.

 

Die Texte der Fotografie bestimmen die Wirklichkeit der Fotografie, so wie die Lehrbücher der Medizin deren Wirklichkeit prägen. Die Texte der Fotografie sind auf einem Niveau, das der Vier-Säfte-Lehre der Medizin entspricht. Man leidet entweder an zuviel schwarzer oder an zuviel weißer (gelber?) Galle. Komme ich mit einem verstauchten Fuß ins Krankenhaus, zapft man mir Blut ab. Am schlimmsten ist das “Schießen“, vulgo Shooting. Passen Sie auf, was ich Ihnen jetzt sage: Fotografieren ist das Gegenteil von Schießen. Sicher, man kann im Geist der Jagd fotografieren, und ich befürchte, die Mehrheit der der der Menschen tut  dies, aber eben auch, weil die Fotografie von Anfang an von solchen falschen Metaphern begleitet wurde. Pencil of Nature. Aber nicht alle Fotografen schießen. Und keiner kann Ihnen so gut wie ich begründen, warum Fotografieren das Gegenteil von Schießen ist. Wer schießt, will ein Objekt treffen. Wenn ich fotografiere, will ich ein in der Dreidimensionalität verstecktes Bild, eine latente Zweidimensionalität in ein konkretes Bild übersetzen.

 

Schießen: aus einer beliebigen Position im Raum ein bestimmtes Objekt, einen Punkt treffen.

Fotografieren: von einem bestimmten Punkt aus, aus einer genauen Position den Raum in eine Fläche auflösen.

 

Wenn ich nur einem oder einer unter Ihnen das Wort Schießen im Zusammenhang mit seriöser Fotografie austreiben kann und damit die Wahrnehmung der Fotografie als eine Technik der Bildkonstruktion und nicht des Einfangens von Wirklichkeit nahelege, so habe ich die Welt schon verbessert, und wie der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Sturm auslösen kann, wird sie sich mit Hilfe der Klinik, der Gelnhäuser Neigung, noch weiter verbessern, endlich wieder einmal. Danke!

 

Gerald Domenig, 20. Oktober 2007