Galerie Mezzanin

Eines der großen Themen der gegenwärtigen kognitionspsychologischen Debatte im Bereich des Visuellen ist die Unterscheidung zwischen »higher level vision« und »lower level vision«. Der Gegensatz zwischen »high« und »low« ist dabei in keiner Weise wertend gemeint, sondern bezeichnet den Unterschied in der Wahrnehmung, ob wir etwas nur mittels unseres vorher gespeicherten Wissens wahrnehmen oder mittels eines fest installierten, algorithmischen Apparats, der unabhängig von unserer vorangegangenen Erfahrung visuelle Reize gleich einem Automaten strukturiert und verarbeitet: visuelle Kognition als Konstruktion bzw. Rekonstruktion einer bedeutungsbeladenen Welt versus Kognition als maschinengleiche, der Bedeutung gegenüber blinde Verarbeitung. Dabei stehen zwar große theoretische Debatten, wie die zwischen Empiristen und Nativisten, auf dem Spiel, aber was hier von Interesse ist, sind die vielfältigen Testdesigns, die diese empirisch nur sehr schwer ziehbare Grenze festmachen helfen sollen. Im Fall der Klärung von »lower level vision« werden Testpersonen dazu gebracht, zwischen verschiedenen bedeutungslosen, manchmal zufallsgenerierten Strukturen systematische Unterscheidungen zu sehen, und dies eben, ohne auf semantische Hilfsmittel zugreifen zu können. Im anderen Fall geht es darum, visuelle Bedeutungsstrukturen möglichst weit aufzulösen und zu fragmentieren und dann zu testen, bis zu welchem Punkt eine Bedeutung für die Testpersonen erhalten bleibt. Diese verschiedenen Strategien sind in ihrer Gegenüberstellung deshalb so interessant, da sich ihre Bilder auf einer formalen und vielleicht auch ästhetischen Ebene sehr stark annähern und sich manchmal zu überschneiden scheinen. Von ihrer Entstehung und den damit verbundenen Intentionen ist eine tatsächliche Berührung aber ausgeschlossen: Einmal sollen Einheiten wie Größe, Länge, Räumlichkeit oder Farbe durch systematische Strukturrelationen aus einem völlig ungegenständlichen Input rekonstruiert werden und einmal soll der Gegenstand durch das Ausfiltern von Strukturrelationen hinsichtlich seiner Bedeutung an den Rand des Zusammenbruchs gebracht werden. Es ist reizvoll, diese formale Annäherung und Anziehung ohne tatsächliche Berührung in einem Zusammenhang mit Abstraktion in der Malerei zu sehen. Dabei lässt sich natürlich feststellen, dass beide Stränge in diesem Jahrhundert immer verfolgt und vor allem - zumindest im westlichen Kontext - in einer dynamischen Relation und in einem Spannungsverhältnis gesehen wurden, was ja genau die Problematik der neueren abstrakten Malerei von der traditionellen Unterscheidung zwischen Gegenstand und Ornament abhebt. In der Malerei lässt sich das Gegenständliche nie völlig ausblenden, da sich ja auch das monochrome Bild in einem Verhältnis zu einem projizierbaren, bedeuteten Gegenstand befindet, der vielleicht nur durch das geschlossene Fenster verdeckt ist. Einzelne Künstler haben sich auch schon sehr früh mit dem Einsatz von automatischen Maschinen in der Malerei beschäftigt, als Exemplifizierung einer radikalen »lower level«-Sichtweise sozusagen. Da dieser Prozess

der Person dann aber völlig entgleitet, geht die Relation zwischen beiden Sichtweisen verloren und die Frage bleibt offen, ob sich beide Sichtweisen in der Kunst eher als anderswo vereinen lassen.
Peter Kogler geht in seinen frühen Tafelbildern noch nicht explizit von einer Maschinenproblematik aus, vielmehr geht es ihm um ein ganz zentrales Problem der visuellen Bedeutung, nämlich um Gesichtserkennung. Er nützt dabei die ganze historische Beladenheit der Porträtmalerei aus, indem er Gesichtszüge fast oder gänzlich aus dem Bild lässt und die Bedeutung zum einen über den Umriss und zum anderen über das künstlerische Genre rekonstruierbar macht. Es geht bei diesen Bildern nicht um Abstraktion in einem herkömmlichen Sinn, da nicht durch Reduktion abstrahiert wird, sondern weil ein bestimmter Aspekt, nämlich die Gesichtszüge, einfach weggelassen wird, während andere Aspekte überdeutlich erhalten bleiben. Kogler hat schon sehr früh in seinem Werk den Computer als Instrument gewählt und dies vor allem durch die Beibehaltung einer sehr deutlichen Ästhetik der Rasterung und der ungebrochenen, wiederholbaren Form als einem zentralen Merkmal seiner Kunst deutlich gemacht. Obwohl Kogler den Computer nicht als Automaten sieht, der ihm einfach Entscheidungen abnimmt, stellt dieser für ihn doch eine starke Beschränkung dar, die seiner Arbeitsweise auferlegt ist. Die Fragmentierung in die typischen Computerraster, die bei übermäßiger Vergrößerung zu einem Zufallsdiagramm zu werden scheint, oder das manchmal fast ungelenk wirkende computergenerierte Darstellen der Dreidimensionalität von Röhren, die sich durch die Räume schlingen, sind gute Beispiele dafür, wie Automation und starre Muster in Koglers Werk repräsentiert werden. Automation als abstraktes Konzept oder als Metapher wird bei ihm aber auch auf anderes Gegenständliches ausgeweitet: Ein frühes Motiv ist die Ameise, die als Tier gemeinhin als völlig willenloser und winziger Teil einer großen Maschinerie gilt, und auch die Hirne deuten in ihrer Nacktheit und Wiederholung eher auf Leere und willenlose Maschinerie als auf das Denken, das von ihnen ausgeht. Es geht ihm also nicht so sehr um die Frage Gegenstand versus Nicht-Gegenstand, sondern eher um die Frage inhaltliche und formale Intention versus vorgegebene willenlose Restriktionen und Strukturen, die er in den Raum der Kunst einbringt und arrangiert. Auf einer inhaltlichen Interpretationsebene hat dies natürlich viel mit Bereichen wie elektronische Medien, Kommunikation, Digitalisierung etc. zu tun.
Doch zunächst noch einmal ein genauerer Blick auf die formalen Details und deren Interpretation. Mit einem extrem beschränkten Symbolinventar, bestehend aus Röhren, Ameisen, Hirnen und ein paar amorphen Formen, lässt Kogler seine Bilderwelten vom Computer zu Ende konstruieren. Diese Konstruktion mittels des Computers wird durch den graphischen Aufbau, die internen Konstruktionsregeln und das Erzeugen von in sich geschlossenen, autark wirkenden Systemen noch betont. Dabei passiert scheinbar Widersprüchliches: Ein traditionelles Identifikationsmerkmal in der Malerei ist der Duktus, die persönliche Art und Weise, wie ein Künstler oder eine Künstlerin Konzepte technisch umsetzt, einer Handschrift gleich, die uns die Wiedererkennung und die tatsächliche oder auch nur phantasierte Personalisierung von Kunst erlaubt. Diesen Merkmalen entzieht Kogler alle Relationen, die direkt irgendwelche psychologischen Zustände wie Stimmung und Emotion reflektieren könnten. Seine Handschrift ist sozusagen das Schreiben mit der Maschine. Dadurch wird seine Kunst aber trotzdem in hohem Maße identifizierbar. Bei der Frage der Personalisierung wird die Sache schon schwieriger. Man kann die Kunst nämlich nicht einfach so lesen, als würde nur mehr eine kühl rechnende, emotionslose Einheit hinter ihr stecken. Die Bedeutungsträger präsentieren sich zwar in einer äußerst kanonisierten Form, sie erfüllen ihren Zweck aber durchaus und transportieren weiter Bedeutung. Die Kanonisierung und die Verweise auf die Generierung nach fixen Regelsystemen tragen zwar selbst Bedeutung und transportieren diese, aber es ist in diesem Fall schwierig, sie auf die Intentionen des Künstlers zu projizieren. Dies hat für uns als BetrachterInnen mehrere Folgen: Der Zusammenhang zwischen der Intention einer Person und der von ihr produzierten Kunst wird grundsätzlich erschüttert und dekonstruiert, indem die Arbitrarität und Manipulierbarkeit dieses Verhältnisses zum Vorschein gebracht wird. Es wird aber auch klar, wie sehr die Sichtweise auf Kunst von der Projektion dieses Verhältnisses abhängt. Koglers Strategie ist also hier in gewisser Weise eine negative, da die Beschränkung und Kanonisierung der Mittel, die dieses Verhältnis beinahe zur Gänze entleeren, dieses gerade dadurch signifikant machen. Die Maschinenmetapher selbst trägt dazu natürlich auch noch bei, wenn man etwa daran denkt, wie gut sich die Problematik psychologischer Zustände in der Sciencefiction anhand von Androiden und anderen Maschinen deutlich machen lässt. Auch hier wird eine Fragestellung mittels einer Grenzerforschung beleuchtet und man kann parallel zu den eingangs erwähnten Strängen fragen: Ab wann verliert ein Mensch die Möglichkeit psychologisch zu repräsentieren und ab wann fängt eine Maschine an, psychologische Repräsentationen zu simulieren oder zu besitzen? Daher wird Koglers Kunst auch so gerne im Zusammenhang mit elektronischen Medien gesehen, da diese auch immer als Gründe für eine allgemeine Bewusstseinsveränderung gesehen oder sogar als die neuen Träger von Bewusstsein mythologisiert werden. Kogler spielt seine Maschinenreferenzen auf vielen verschiedenen Ebenen aus, etwa auch in den Bewegungsabläufen seiner Videoinstallationen, die in einem neueren Projekt mit Modern Dance kontrastiert werden. Oder in formalen Referenzen wie etwa Pop-Art auf die sechziger und siebziger Jahre, als das Verhältnis zur Technologie noch ein ungebrochenes und positiv besetztes war. Die Ästhetik einer vergangenen positiven Utopie in die Gegenwart zu transportieren, hat aber nicht zur Folge, dass seine Kunst einen positiven Glauben an Gegenwart und Zukunft ausstrahlt, denn sie wächst speziell in den Rauminstallationen zu einem bedrohlichen Pseudoorganismus zusammen, der die Welt (als Ausstellungsraum) vollständig durchdrungen hat. Die Maschine kommt ihrem Schöpfer gefährlich nahe und die Grenzen drohen zu verwischen. Souverän wird das Verhältnis zwischen der ästhetischen Leichtigkeit der Module des Ornaments und der bedrohlichen Schwere des allumfassenden Gewebes ausgelotet und als Widerspruch deutlich gemacht. Es ist dies auch ein interessanter Weg weg vom Kunstobjekt als diskret erfassbarer Einheit, mit der wir eine Beziehung eingehen, hin zu einem Gesamtsystem, das für sich und in sich funktioniert und bei dem wir nur erahnen können, welche Information durch seine Adern fließt.
Während man sich vor ein paar Jahrzehnten ein autark funktionierendes technisches System noch als Idealbild einer Umwelt dachte, das prinzipiell mit der Natur identisch sein kann, ist es in der Jetztzeit und bei Kogler ein bedrohliches Monstrum, da uns die Symbole seiner internen Kommunikation verborgen bleiben. Die Bedeutungsstruktur ist im allumfassenden Ornament fast verloren gegangen und so entsteht Unbekanntes, das uns in seiner hybriden Form zwischen lebendiger Bedeutung und künstlicher Leere Angst macht. Die Paranoia, die eine solche Umwelt in uns erzeugen könnte, wird aber dann doch wieder gebrochen, denn wir wissen ja, dass hinter der Arbeit der Künstler selbst steht und die Maschinerie, von seiner Hand gesteuert, auch ein Spiel mit künstlerischer Bedeutung ist. Keine zufallsgenerierten Muster, sondern Kunst, die sich damit analytisch auseinandersetzt. Die Bedeutung ist eben nicht Struktursymbol oder Ornament oder digitales Medium und einfach zufällig und distanzlos in einen Kunstkontext gelangt. Kogler bringt manchmal auf seinen monumentalen Wandmalereien Fotografien oder Strukturvariationen an, die dann die Gesamtheit wiederum wie Fenster beziehungsweise Tafelbilder durchbrechen. So erzeugt er die Möglichkeit, sich aus den verschiedenen Positionen - Verlassen des Tafelbildes und Rückkehr zu ihm - einer Grenze immer mehr anzunähern, diese Positionen in seiner Kunst aber doch irgendwie zu vereinen.

Dieser Text erschien in einer kürzeren Version
in der Zeitschrift Parnass Nummer 3/1999.