Galerie Mezzanin

“Man muss dem Herz, den Muskeln, den Nerven, den Zellen eine Seele zuschreiben, allerdings eine betrachtende Seele, deren ganze Rolle in der Annahme der Gewohnheit besteht.“ Gilles Deleuze spricht in seinem Buch ’Differenz und Wiederholung’ von der Gewohnheit als einer Manifestation von Allgemeinheit. Einer Allgemeinheit, die in sensu-motorischen Gewohnheiten und tausenden von passiven Synthesen, ’aus denen wir organisch bestehen’ zum Ausdruck kommt. 
Es sind oft organische und zugleich soziale Ordnungssysteme, die Peter Kogler motivisch zu erfassen sucht. Röhren, als Gefäße für den Durchlauf von Blut, Nerven, Daten oder Beton, Bewegungsströme von Flüssigkeiten, von Ratten, Ameisen oder Skatern bilden jeweils Ausgangspunkte für Koglers Flächen. Die Ausstellung in der Galerie Mezzanin versammelt unterschiedliche Werkgruppen, die solche Bewegungsströme verbildlichen.

Eine großflächige Wand überzieht Peter Kogler mit einem Index von Prints, die gleich Icons, wie sie in der Computergrafik zur Verwendung kommen, um Bildarchive zu organisieren, aneinandergereiht werden. Dieser Index führt jene Motive vor, die Kogler in unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen abhandelt. Erdball, Gehirn, Ameise, Ratte, Glühbirne. Die Begriffe bilden Bildeinheiten, die in scheinbar endlosen Variationen und Schleifen aneinander- und zusammengefügt werden, um sich in einem dynamischen Prozess gleichsam selbst fortzuschreiben. 
Bereits 1984 im selben Jahr als der erste Apple Macintosh auf den Markt kam, begann sich Peter Kogler für binär organisierte Oberflächen zu interessieren. Griff er zu dieser Zeit noch zu Sieben, die er auf der Grundlage von quadratischen Einheiten zu einem größerem Bildraster zusammenfügte, wurden später die jeweils neuesten Technologien sowohl für die Herstellung der Grafiken, als auch für den Druck Ausschlag gebend. Peter Kogler reagiert zum einen auf die Entwicklungen der Grafikprogramme, aber auch auf die Neuerungen in Bezug auf Dimensionen und Perfektion von bedruckten Kunststoffbahnen. 
Die Bedingungen der technologischen Arbeitsprozesse sind zugleich aufs engste mit den künstlerischen Anliegen verknüpft. Über den Versuch hinaus jenen rechnerischen Vorgängen, denen die Bildwelt der Computergrafik unterliegt, einen ästhetisch wahrnehmbaren Raum zu geben, werden mediumimmanent die Strukturen und Phänomene befragt, die die digitale Kommunikation ausmachen. Das komplexe Gefüge von Datenströmen wird auf seine Wechselwirkungen mit Bewegungsabläufen in der physisch erfahrbaren Welt hin untersucht. In einer raumgreifenden Installation im Kölnischen Kunstverein etwa ließ Peter Kogler groß projizierte Ratten eine Wand entlang laufen, die einem zur Straße hin ausgerichteten Schaufenster vorgelagert ist. Insbesondere nachts gingen die Bewegungsabläufe der laufenden Ratten und der fahrenden Autos ineinander über.
“Indem wir kontrahieren sind wir Gewohnheiten, zugleich kontrahieren wir durch Betrachtung“ schreibt Deleuze weiter, um der Dynamik der Wiederholung auf die Spur zu kommen. Kontraktion und Entspannung, An- und Abschwellen von Blasen und Körpern, können als Leitmotive für Peter Koglers Arbeiten herangezogen werden. Mit ihnen beschreibt der Künstler, der sich, angeschlossen an das Kommunikationssystem, als Teil des digitalen Netzwerks begreift, die komplexen Schichtungen von Informationen und Datenübertragung und untersucht gleichzeitig deren Rückbindungen in soziale Verhältnisse. Nicht zufällig verwendet er soziokulturell aufgeladene Symbole von Ameise und Ratte um Bewegungsströme von Massen nachzuzeichnen. 
Hinter einem Vorhang, bedruckt mit einem Raster von Röhren, mit dem stilisierten Motiv eines Computerspiels das einlädt, eine andere Welt zu betreten, läuft eingeschlossen, in eine für den Betrachter unsichtbare labyrinthische Architektur, eine Ratte, ihren Weg suchend, - dupliziert und manipuliert durch Mausklick. Kennzeichnend für die Flächen, Fassaden und Raumgestaltungen Peter Koglers ist das Ineinandergreifen von virtueller Konstruktion und deren Manifestation in der Betrachtung. “Wir betrachten nicht uns selbst, aber wir existieren nur als Betrachtende, indem wir kontrahieren, woraus wir hervorgehen“, schreibt Deleuze und verweist damit auf die gestalterische Kraft, er nennt es die Kontraktion, die der Betrachtende vornimmt. Koglers Röhren sind Kontraktionen, sind tragende Konstruktionen in einer betrachteten Welt. 
Für die Künstler/innen der Avantgarde begann die Collage ein zunehmend wichtiges Medium zu werden, weil sie mit ihren Überlagerungen von Materialien aus verschiedenen Kontexten, eine andere Form der Bildfindung, aber auch eine andere Form von Zeitlichkeit in der Darstellung ermöglichte. Peter Kogler bedient sich dieser ’analogen’ Technik indem er auf einem Tapezierertisch Computergrafiken, rasterartige Gewebe und zwei Aluminiumskulpturen modellhaft zusammenführt. Der Tisch ist Werkbank und Präsentationsfläche. Die Anordnung von Objekten, Geweben und Grafiken markiert einen Moment physischer Präsenz innerhalb eines sich ins Endlose fortschreibenden Informationsprozesses. Die computer-gefrästen Modelle eines Gehirns und einer Weltkugel bilden die Pole von Individuum und globaler Wahrnehmung, von Mikro- und Makroaufnahmen von Informations-, Kommunikations- und Bewegungsströmen, die sich in der Kontinuität der Gewohnheiten zum Allgemeinen formieren.

Eva Maria Stadler