Für viele, die mit der Arbeit von Christina Zurfluh vertraut sind, mag diese Ausstellung etwas überraschend sein: Keine großformatigen bunten Bilder, Papierarbeiten oder Skulpturen, sondern zarte, monochrome, mit dem Raum verbundene Skulpturen und kleinformatige, ebenfalls monochrome Zeichnungen. Die Künstlerin hat jedoch als Referenz dafür, dass diese Arbeiten in einem kontinuierlichen Verhältnis zu älteren stehen, eines ihrer Bilder in den hinteren Raum der Galerie gehängt. Es stellt die Verbindung zu den älteren Arbeiten her, in denen die Farben in dicken Schichten aufgetragen wurden, um dann zum Teil wieder nach bestimmten Systemen entfernt zu werden und so eine Malerei des Ab- und nicht des Auftragens zu sein.
Es war und ist immer eine zentrale Strategie Zurfluhs, Dinge zu bearbeiten, auch dann, wenn sie ihre Rohlinge selbst herstellt. In den Papierarbeiten dieser Zeit sind die Farbreste am Atelierboden die Rohlinge. Diese Strategie hat auch damit zu tun, etwas nicht aus dem Nichts zu schaffen oder etwas einfach abzubilden, sondern immer etwas Vorhandenes zu übersetzen und dabei den Akt der Übersetzung (bzw. Bearbeitung) in den Mittelpunkt des Blicks zu rücken. Dabei geht es immer wieder um das Verhältnis zwischen den Eigenschaften von Material und Objekt und der Flächenhaftigkeit des Bildes. Beide Pole werden in der Arbeit in immer neuen Formen bis hin zur Unauflöslichkeit verbunden. Die Geschichte der Zeichnungen in der Ausstellung beginnt natürlich bei den älteren Bildern mit den freigelegten Schichten und geht dann weiter zu Wandflächen in New York, die immer wieder mit Plakaten und anderen Dingen beklebt werden, die ihrerseits wieder abgerissen werden und so eine ganz ähnliche Struktur wie die Bilder bekommen. Diese hat die Künstlerin wiederum photographiert und so in eine Zweidimensionalität zurückgeführt und diese Photographien sind es, die wiederum den Ausgangspunkt der Zeichnungen der Ausstellung bilden.
Wir haben also eine ganze Kette von Repräsentationen vor uns, die durch eine Vielfalt von Relationen zusammengehalten wird. Wenn die Photographien Inspiration für die Zeichnungen sind, transportieren sie die Schichten mit, die sie abbilden aber auch deren Geschichte, nach der sie ja ursprünglich aus einzelnen Papierflächen entstanden sind. Das Verfahren erinnert so an eine Übersetzung, in der ein Text von einer Sprache in die Nächste übersetzt wird, um vielleicht irgendwann in stark veränderter Form wieder in der Ausgangssprache zu landen. Nur das in diesem Fall keine Bedeutung verloren geht, denn es geht in Christina Zurfluhs Kunst um die Möglichkeiten und Eigenschaften der Übersetzung selbst und nicht um außerkünstlerische Inhalte. In den monochromen Zeichnungen setzen sich die einzelnen Striche zu so etwas wie Drahtgeflechten zusammen, die auf einer tiefen Ebene, fast surrealistisch anmutend, zur Dreidimensionalität zurückkehren, um sich gleichzeitig von den flächenhaften Figuren nochmals abzusetzen. Was zunächst wie ein einfaches Phantasiegebilde aussieht, erweist sich dann als eine Anordnung mit komplexer Geschichte. Der Beladenheit der Zeichnungen steht die Leichtigkeit der Skulpturen gegenüber. Auch hier geht es um das Verhältnis von Fläche versus Objekt, nur dass die Richtung eine umgekehrte ist. Die Skulptur im Eingangsbereich der Galerie wirkt auf den ersten Blick wie eine Wandmalerei - man denkt an Arbeiten von Sol Lewitt - und erst später wird klar, dass hier etwas im Raum geschieht. Die Illusion deutet auf Fläche hin, genauso wie die Zeichnungen auf Raum deuten.
Die Schnüre sind entmaterialisiert, während die Striche zu physischen Objekten werden. Dann wird aber wieder klar, dass Zurfluh das Objekt doch wieder einführt, indem sie die Kräfte im Raum durch die Gewichte wieder sichtbar macht. Man merkt, dass hier der Strich physikalischen Gesetzen unterworfen ist. In der zweiten Skulptur wird ein Raum in einen Raum gezeichnet, der sich dann doch in unterschiedlichen Perspektiven und durch die Schwere der Gewichte wieder in ein dreidimensionales Objekt verwandelt. Selten wird in einer Ausstellung das Verhältnis zwischen Objekt und Bild, Material und Materielosigkeit in einer so vielschichtigen Art und Weise angesprochen und gleichzeitig die Geschichte der Künstlerin und auch der Kunst so klar mit reflektiert.
Martin Prinzhorn