Es wäre zumindest eine Verkürzung zu sagen, dass sich Christina Zurfluh in ihren Bildern oder ihren Skulpturen mit Problemen der Malerei oder der Bildhauerei auseinandersetzt. Die Künstlerin ist seit Beginn ihrer Karriere daran interessiert, eben nicht einfach nur innerhalb eines medienspezifischen Diskurses zu arbeiten, sondern die Grenzen und Überlappungen zwischen den Bereichen explizit zu machen. Die daraus resultierenden Verschiebungen und Überschreitungen ergeben sich schon aus den verschiedenen Verfahren, derer sie sich bedient. Bei den etwas älteren Bildern wird zunächst ein Bild über das andere aufgetragen, so dass eine Art Rohling entsteht, wie ein Stein oder ein Holzstück, das darauf wartet, bildhauerisch bearbeitet zu werden. Nur dass dieser Rohling ein sehr komplexes Innenleben hat, gewissermassen die Summe seiner Bilder ist. Daher entsteht letztendlich doch wieder keine Skulptur, sondern ein Bild, wenn die Künstlerin mit bildhauerischen Mitteln dieses Innenleben freilegt und formt. Diese Strategie scheint das völlige Gegenteil dessen zu sein, was die moderne Abstraktion innerhalb der Malerei schaffen wollte, nämlich das Tafelbild jenseits jeglicher Materialität anzusiedeln. Aber gerade der Umweg über Materialität und Skulptur, den Zurfluh geht, ermöglicht uns einen Blick auf ganz grundsätzliche Eigenschaften von Malerei: weil das eine so explizit gemacht ist, können wir das andere umso klarer sehen. Keine einfache Reduktion, kein Versuch zu irgendeiner Reinheit oder Autonomie zu gelangen, sondern eine klar strukturierte Gegenüberstellung verschiedenster Aspekte, zwischen denen wir uns beim Betrachten hin und her bewegen können, darin liegt der Reiz von Zurfluhs Arbeit. Umgekehrt weist in einer Skulptur, die aus zusammengeknüllten Klebebändern und Leinwandstücken hergestellt ist, das Material wieder in Richtung Malerei, so dass wir nicht bloß die äußere Figur, sondern auch die inneren, verborgenen Flächen mit wahrnehmen. Dabei geht es Zurfluh aber nicht um die Auflösung von verschiedenen Bereichen wie dies etwa bei der Grenze zwischen Raum und Objekt durch Installation der Fall ist, sondern immer um eine Überprüfung und Weiterentwicklung von Malerei und Skulptur, nur geschieht diese eben immer auch aus der jeweils anderen Position. Auch die neuen Arbeiten folgen in ihren Grundsätzen diesen Strategien, man könnte aber vielleicht sagen, dass sie eine Abstraktion dieser Strategien sind. Die Bilder sind nicht mehr zur Gänze fragmentiert und aufgerissen, sondern in eine eher monochrome Fläche und verschiedenfarbige Figuren, die sich auf oder unter der Fläche befinden, unterteilt. In den monochromen Bereichen tauchen ganz zart geometrische Figuren auf, die wir mit minimalistischer Malerei der sechziger und siebziger Jahre assoziieren. Zurfluh bringt so ein historisches Moment ins Spiel, das ihre Position nochmals verstärkt, die Kunst aber um eine andere, komplexe Ebene erweitert. Minimalismus verbinden wir heute mit der endgültigen Krise jener amerikanischen Moderne, deren Phantasie es eben war, bildnerische Abstraktion jenseits von Materialität zu schaffen und Skulptur als etwas autonomes, vom Raum unabhängiges zu definieren. Dem hat der Minimalismus in jeder Hinsicht widersprochen. Wenn Carl Andre die Streifen auf Stellas Bildern als Pfade des Pinsels beschreibt, wird die andere Sicht auf Materialität deutlich, genauso wie wir in der Theatralitätsdebatte dieser Zeit die Krise des autonomen Kunstwerks sehen. Bei Zurfluh werden aber diese Punkte nochmals verschoben: Die Kreise, die in den Originalen noch stark und kontrastreich die Bilder dominieren, lösen sich bei ihr in der Monochromie fast auf und sind gleichzeitig auch nur eine nicht wirklich verankerbare Schicht des Bildes, das aber wiederum in dieser Vielschichtigkeit seinen autonomen Charakter zu verstärken scheint. Gleichzeitig finden wir in den collageartigen vielfärbigen Bildteilen die verschiedensten Hinweise auf die Geschichte der Malerei, auf Abstraktion und Gestus. Was bei den früheren Bildern nur gleichsam synchron als Spannung zwischen Skulptur und Bild, Material und Vorstellung ausgedrückt wurde, wird hier gleichsam um eine historische Dimension erweitert, die aber selbst längst Teil unserer Wahrnehmung geworden ist. Das historische Zitat und das künstlerische Verfahren verschmelzen hier in einer souveränen Weise. Die neuen Skulpturen zitieren zwar nicht explizit, doch scheint ihre Form und Größe völlig klassisch. Auch beziehen sie sich durch ihr Material nicht auf andere Medien. Die Spannung, die Christina Zurfluh hier aufbaut, betrifft aber dann doch wieder die Materialität. Wie fliessende Farbe ziehen sich zähe Stränge um sie und von ihnen. Die scheinbar prototypischen Formen sind nicht von Menschenhand modelliert oder geschnitzt, Zurfluh hat hier das altbekannte drip painting in ein anderes Medium getragen. Das Verfahren steht in einem komplementären Verhältnis zum Aufschleifen und Aufreißen bei den Bildern. In der Malerei wird gleichsam mit Hammer und Meißel gearbeitet, während bei den Skulpturen die Flüssigkeit von Farbe zum Einsatz kommt.
Martin Prinzhorn