Galerie Mezzanin

Wenn es etwas gibt, wovon Sie nicht

möchten, dass es jemand anders weiß,

so sollten Sie dies erst gar nicht tun.

(Eric Schmidt, CEO Google)

 

Mit der Präsentation des umfassenden Projekts PHESBUK ändert Bernhard

Fruehwirth seinen Namen. Im Kontext des Porträts zeigt Bernhard Frue gesellschaftliche

Phänomene wie den Hang zur Selbstdarstellung und den Verlust von Privatsphäre

bis hin zur Auflösung der Existenz. In seiner Arbeit untersucht Frue Varianten

der Wahrnehmung und Selbstreflexion bezüglich des immer schon von Auflösung,

(De-)Konstruktion und Flüchtigkeit bedrohten, konstituierten Subjekts.

 

Den Ausgangspunkt bildet ein Künstlerbuch, das Frue mit ausgeschnittenen und teils

überarbeiteten Gesichtern aus Zeitungen und Magazinen zwischen "##$ und "#%"

gestaltet hat. Mit einem Kugelschreiber „zeichnet“ Frue die Gesichter so lange „aus“, bis

sie sich von selbst aus den Zeitungen herauslösen. Dieses Auswahlverfahren extrahiert

aus der medialen Informationsflut unzählige, von ihrem ursprünglichen Kontext getrennte

Gesichter, die nach eigenen Kriterien in einem Bilderzyklus angeordnet werden. Die Beweggründe hinsichtlich der gewählten Methode liegen für Frue dabei in der

Suche nach einer aktuell adäquaten Auseinandersetzung mit dem Thema Porträt.

 

„Die Arbeit an diesem Buch habe ich während meines ersten Spitalsaufenthaltes

begonnen, als Zeitungen das Fenster und den Kontakt zur Außenwelt darstellten.

Ein erster visueller und emotionaler Reiz waren Personen, die permanent in den

Medien behandelt werden, über die ich mich – auch aufgrund meiner schwachen

Konstitution –, körperlich spürbar aufgeregt habe. Sehr schnell habe ich das Interesse

an Prominenten verloren und die Auswahl der Fotos auf Gesichter ,unbekannter

Menschen‘ konzentriert. Aus der Flut von Information bleiben nur die ausgeschnittenen

Gesichter als eine Art Restinformation übrig.“

 

Das Original des Künstlerbuchs wird in einem abgedunkelten Raum in einem

vitrinen artigen, aus Stahl und Plexiglas gebauten Objekt präsentiert, das vor einem in

Überkopfhöhe angebrachten Stahlregal steht. Dieses trägt nahezu die ganze Edition

von %&# Stück. Das auch in einer animierten Variante zu durchblätternde BUK steht

einerseits für ein Modell der Bewältigung, und andererseits für ein Hinterfragen

der Filter, die alltäglich unsere Wahrnehmung bezüglich des „Fetischs“ Gesicht

aufbereiten. In der formal seriellen Arbeit kommt es innerhalb einer durch Medien

beeinflussten Chronologie zu Variationen des immer Gleichen: der Darstellung und

Sichtbarmachung von einer Flut von anonymen, nach Bedeutung und Aufmerksamkeit

gierenden Gesichtern.

 

Die großformatigen UV-Drucke auf Ahornfurnier wie KeaneStrichFelix oder Diamond-

Theodor sind aus Vorlagen einer Freeware aus dem Internet entwickelt, deren scheren- schnittartige Schablonen (Stencils) einfach erkennbare, aufs Wesentliche reduzierte

Darstellungen von Gesichtern größtenteils bekannter Persönlichkeiten zeigen. In den

Überlagerungen und teilweisen Aussparungen der Motive spaltet sich das Sujet auf,

so zeigt die Arbeit PopSalGeneWood Teile der Gesichter von Popeye, Salvador Dalí,

Gene Simmons und Woody Allen. „Jede Zeit generiert in ihrer Physiognomie ähnliche

Typen“, merkt Frue zu den aus fragmentierten Überlagerungen entstandenen Porträts

an, deren Machart an verwaschene, ausgefranste und abgestoßene Holzschnitte

erinnert und so den Gesichtern etwas an Plastizität zurückgibt.

 

Die zu den UV-Drucken mit leichtem Abstand gehängte Arbeit Thinx besteht aus vier

Zeichnungen, die mit Tesa-Band auf Holz fixiert sind. Wie Frues weitere Schriftbilder

folgt Thinx einem aufwendigen zeichnerischen Verfahren, in dem vorgefertigte

Typografien in Tusche auf mehrfach weiß bemalten Untergrund aufgetragen und

durch den Arbeitsprozess leicht verwischt werden. Schließlich bekommt das Papier

auch hier einen „Körper“ und etwas Haptisches, ein Eindruck, der durch das rückseitig

aufgebrachte Holz noch verstärkt wird. Die Textarbeiten folgen Regeln und einer

formalen, wenn auch ungewohnten Sprache, die sich in ihren fragmentarischen

Wiederholungen um Erkennbarkeit bemüht. Die Schriftbilder kreisen um appellative,

verschlüsselte Behauptungen, kommunikative Wortspiele und folgen einem fast

lyrischen, (auto-)aggressiven Prozess des „Ins-Wort-Setzens“, der wohl auch als ein

direktes Gesprächsangebot des Künstlers sowie des Werks an seine Betrachter/innen

zu verstehen ist. Frue rüttelt am Dogma des Ich-Bewusstseins, indem er das Subjektive

im Objekt stärkt und es zu uns sprechen lässt.

 

Auf einer dieser Zeichnungen greift Frue mit der überlappten Schreibweise der

Ausrufe OHO und UHU das Zeichen des Kreuzes und das des Pfeiles auf, die in ihrer

klaren Symmetrie und Ornamentik für eine relativ einfach assoziierbare Bedeutung

stehen und gleichzeitig auf eine außersprachliche, ursächlich überlieferte Ebene der

Wissensproduktion verweisen.

 

Die Symbole Kreuz und Pfeil spielen auch in den Videoarbeiten TrustMe und

BlahBlahPenser eine zentrale Rolle. In die sich um eine senkrechte Achse drehenden

Zeichen sind Schriftbilder wie „Fair & Lovely“ oder „Es leben die Ketten“ eingearbeitet,

die ein rätselhaftes, wenn auch intern schlüssiges Beziehungsgeflecht von Bild und

Text ergeben und als appellative, um sich kreisende Video-Objekte eine eigenartig

suggestive Dynamik aufbauen.

 

In PHESBUK erweitert Frue seinen zeichnerischen Ansatz hin zum Medium Video.

Frue nutzt und hinterfragt die formalen Ähnlichkeiten beider Medien, indem er den

Entwurfscharakter der Zeichnung mit der spielerisch dynamischen Handhabe von

Video zusammenführt. Mit der ursächlichen Orientierung am klassischen Genre

des Porträts treibt Frue auch in den Videoarbeiten eine aktuelle Interpretation

der Selbstdarstellung voran und widmet sich den Themen Reflexion und Selbstreflexion,

Loslösung und Auflösung oder Rhythmus und Codierung. Durch die

Überlagerung dieser spezifischen Qualitäten von Zeichnung und Video stellt Frue

dem Betrachter unterschiedliche Möglichkeiten der Wahrnehmung des „Fetischs“

 

Gesicht vor. Frue zeigt in seinen Videos aber gerade keine klassischen Porträts, vielmehr geht es um eine metaphorische Erweiterung des Gesichts hin zum Körper und zu dessen

Organen. In der !D-Animation Crashsink stürzen Dinge, die Frue nicht mag oder

die ihm Angst machen, auf eine milchig spiegelnde Oberfläche, die diese mit einem

schicksalhaft begleitenden, dröhnenden Gong regelrecht verschluckt. Ähnlich den

von einer unheimlichen Mission umgeleiteten Flugzeugen '/%% krachen Herz, Lunge,

Zigarettenschachtel, Blume und Flugzeugsitze und wohl auch ihre Erinnerung daran

gegen diese alles verschluckende Wand. In diesem Akt des Verlusts und der Zerstörung

erweckt Crashsink auch Hoffnung auf das Vergessen und einen Neustart, der an

anderer Stelle neue Objekte, Organe und Körper entstehen lässt, um schließlich dem

eigenen Schicksal ein Stück zu entkommen.

 

In Exercise in Proportion and Cut ist Frue auf der Suche nach den Personen hinter

den in sozialen Netzwerken wie Facebook massenhaft auftauchenden und durch ihre

Wiederholung sich wieder anonymisierenden Gesichtern, indem er die Videokamera

auf nächtlich erleuchtete Fenster von Wohnungen richtet. In den vorbeihuschenden

Schatten lässt sich eine grobe Vorstellung über das Geschehen in den Wohnungen

erahnen, deren Bewohner/innen sich auch durch diesen recht harschen Versuch

eines Eingriffs in die Privatsphäre nicht aus ihrer Anonymität lösen lassen. In ihrer

Suche nach den Personen hinter den Gesichtern steht Exercise in Proportion and Cut

in Kommunikation mit dem Künstlerbuch, insofern ist es nur schlüssig, die drei

verwendeten Video-Projektoren auf die Skulptur Turtle zu stellen, die Makulaturen

und Druckerplatten des Buches in sich trägt.

 

In den Videoarbeiten Ket und Tschicken wird dieser gescheiterte Versuch der Identitätsfindung humorvoll auf die Spitze getrieben, da hier nicht Menschen, sondern Tiere

auf ihre Physiognomie und ihr Bewusstsein hin untersucht werden. Katze und Huhn

finden sich in einer innenseitig verglasten Spiegelbox wieder und sind offensichtlich

erstmals mit ihrem Spiegelbild konfrontiert. Auf engem Raum werden sie in endlosen

Spiegelungen mit sich selbst alleine gelassen. Das Huhn scheint die Situation nicht

weiter aufzuregen, langsam hin und her gehend, betrachtet es sich im Spiegel.

 

Sichtbar unwohler fühlen sich die zwei Katzen, die bald aus der Spiegelbox flüchten.

Die zusätzlich ausgestellte Spiegelbox Gefäss – in diesem Fall der Drehort des Videos

– scheint trotz ihres Gewichts im Raum zu schweben. An anderer Stelle stehen sich

zwei weitere Spiegelboxen gegenüber, Gefügig und Gesäss, worin sich die Betrachter/

innen selbst endlos gespiegelt sehen.

 

In der Bilderflut von PHESBUK konfrontiert uns Bernhard Frue nicht zuletzt mit uns

selbst, indem er das Porträt in seiner genre-immanenten Serialität auf seine Aktualität

und Darstellbarkeit hin untersucht und einzelnen Gesichtern einen spezifischen

Bild- und Text-Körper zuweist, der ihrer zerbrechlichen Fragmentarität einen etwas

beständigeren Halt gibt.