Galerie Mezzanin

Es ist eine bekannte Tatsache, dass Technologiewechsel und maschinelle Erleichterungen unser Verhalten bis in soziale Strukturen hinein verändern, dass die Medienwechsel zeitliche Abläufe durcheinanderbringen oder beschleunigen und dass dies nicht ohne Einfluss auf unsere Auffassung von Ort, Person, Körper und Individualität bleibt. Grenzen zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen öffentlich und privat verschieben sich dabei laufend und müssen ständig neu befragt werden.

 

Gesellschaftliche und mediale Transformationen und ihre Auswirkungen auf Person, Raum und Zeit beschäftigen den Künstler Bernhard Frue(hwirth) seit mehr als einem Jahrzehnt. Er geht dabei von seiner eigenen Biografie und Wahrnehmung aus, um Beobachtungen in seinem Umfeld anzustellen und diese in konzeptionelle Arbeiten zu fassen, denen mitunter auch etwas Absurdes oder gar Obsessives anhaftet. Die fetischhafte Fixierung auf ein Objekt der Beobachtung – seien es Personen aus Zeitungen, Prostituierte, Patienten oder Unbekannte in Räumen, die von der Straße aus observiert werden – lässt immer wieder neue Werkgruppen entstehen, die in den Ausstellungen des Künstlers in einen szenografischen Zusammenhang gebracht werden. Über die Jahre hinweg wird diese Konzentration auf bestimmte Kernthemen erkennbar. Eine Figur, die sich in seinem OEuvre wiederholt findet, ist die des Voyeurs. Ob heimlich oder deklariert: Der Künstler Bernhard Frue(hwirth) nimmt diese Rolle anlässlich der Werkentstehung ernst, selbst für fragwürdige Observierungspraktiken, und stellt damit seine eigene Person als Autor zur Disposition.

 

Voyeure und andere heimliche Beobachter

 

Ein Voyeur ist jemand, der heimlich Beobachtungen im Privatbereich einer anderen Person anstellt, ohne dass diese davon Kenntnis hat. Am eindeutigsten lässt sich diese Tätigkeit beschreiben, wenn es um den Intimbereich des andern geht: um Sexualität, um das Gefühl des Unbeobachtet-Seins, des Zuhause-Seins. In diesem Umfeld hat der Rechtsstaat einerseits Grenzen gezogen, die nicht ohne Preis überschritten werden können: Schutz der Personenrechte, der Privatheit, Schutz des Hausfriedens, Schutz vor Stalkertum etc. Andererseits besteht gerade in den Medien einer demokratischen Gesellschaft ein Bedarf an Öffentlichkeit und Transparenz, der mit diesen Rechten in Widerspruch steht. Gerade die neuen Medien lassen Blicke in die Privatheit des anderen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß zu.

 

Ein weiteres komplexes Moment in diesem Umfeld ist das Bedürfnis von Personen des öffentlichen Interesses (Politiker, Stars) nach gezieltem Umgang mit den Medien. Dazu gehören auch die Kunstschaffenden. Ihr Werk braucht Öffentlichkeit, öffentliche Wahrnehmung. Gerade an den Schnittstellen von Privatheit und Öffentlichkeit bewegen sich immer wieder auch die Arbeiten von Bernhard Frue(hwirth). Oder besser Frue, wie ich mir bei unserem letzten Skype-Gespräch habe bestätigen lassen. Der Künstler begibt sich oft auf Recherchen im Privatbereich, die zwar meistens niemanden bloßstellen oder verletzen, aber diese Grenze berühren, befragen. In der Arbeit Samthansen (2004) fotografiert er die ephemeren zeltartigen Behausungen von Prostituierten im Bois de Boulogne in Paris, die dort ihre Kunden empfangen. Personen sind keine zu sehen. Die Fotos werden als Negativ-Farbdruck präsentiert, sodass die Zelte im rosarot-violetten Farbkontext eher wie arte-povera-hafte Objekte im Wald anmuten, denn als Standorte für ein anrüchiges Gewerbe.

Eine frühe fotografische Arbeit OLYMP (1998) war einem Patienten gewidmet, dem der Künstler im Kontext seiner Arbeit während der Zivildienst-Zeit begegnet ist. Der schwer behinderte Mann wurde von ihm fotografiert, mit dem Einverständnis seiner Angehörigen. Gleichwohl hatte der Künstler bereits in einem unbeobachteten Moment während der Pflege ein Foto von dem Patienten gemacht, der nackt mit einer noch offenen Windel zwischen den Beinen vor ihm lag, den Rücken zum Betrachter gedreht, sodass sein Gesicht nicht zu erkennen war. Diese heimlich getätigte Aufnahme war das eindringlichste Foto der Serie. Soll nun ein solches Foto ausgestellt werden oder nicht? Welche Grenze wird damit verletzt? Wieweit ist der Voyeurismus eines Künstlers unbedenklich und ab wann schadet er dem Intimbereich von Personen?

 

Der Voyeurismus von Bernhard Frue gilt immer wieder auch der eigenen Biografie. Somit unterwirft er seine Sujets und sich als Person denselben Regeln. In seinen Zeichnungen von 1997 bis 2000 spielte das Transformieren, Umzeichnen und Abzeichnen von Dingen und Räumen, die zu Bernhard Frues eigenem Aufwachsen gehörten, eine wichtige Rolle. Er zeichnete Wohnräume – sein ehemaliges Jugendzimmer, das Zimmer seiner Mutter, oder andere Interieurs, die ihn betreffen – von Fotos ab. Durch das nachträgliche Abzeichnen entstand eine reflexive, interpretierende Ebene, die das Reale darstellt und zugleich kommentiert. Die nüchterne Form der Umrisszeichnung macht den Blick neutral und unpathetisch, gar für sein eigenes Jugendzimmer. So schafft Bernhard Frue Distanz zwischen sich und den Versatzstücken seiner Biografie. Darüber hinaus stellt er in seinen Arbeiten die Unantastbarkeit von Personen bewusst in Frage. Zu öffentlich sind heute Biografien, die sich in Social Networks abbilden.

 

Der Persona-Begriff und die Medien

 

Die titelgebende Arbeit PHESBUK in Bernhard Frues Ausstellung im Kunstverein Medienturm Graz 2012 hat vor ungefähr zehn Jahren in New York mit einem privaten Skizzenbuch begonnen, das der Künstler zuerst im Sinne eines Arbeitsbuchs mit persönlichen Notizen und Aufzeichnungen versehen und von 2008 bis Ende 2011 von hinten nach vorn wie ein Stickeralbum mit Bildern von Personen aus den Medien angefüllt hat – ausgerissene und ausgeschnittene Köpfe aus verschiedenen Printmedien, die seine persönlichen Notizen teilweise gänzlich verdecken. Ab und zu scheinen die mit Bleistift oder Filzstift hingekritzelten Wörter, Linien oder Zeichnungen aus dem Untergrund des vollgeklebten und fast aus den Nähten platzenden Skizzenbuchs auf.

 

Gesammelt hat der Künstler diese Gesichter aus einem immensen Berg von Medienerzeugnissen, die er durchkämmte, wobei die Auswahl intuitiv, oder besser gesagt reaktiv erfolgte. Die Gesichter wurden mit Kugelschreiber so heftig umzeichnet, dass diese sich wie Abziehfolien aus den Zeitungen lösten. Anders als bei einem Panini-Album geht es dem Künstler weniger um die Vollständigkeit einer Sammlung, sondern um die verschiedenen Kombinationen von Gesichtern, um eine geheime Chronologie des Zusammentreffens auf den Doppelseiten, um ein Lektüresystem von Wahrnehmungen, die von den eingeklebten Personen ausgelöst werden.

 

Einzelne Gesichter werden vom Künstler nicht nur ausgewählt, sondern auch behandelt, bearbeitet, bezeichnet, bemalt, zerkratzt, malträtiert oder liebevoll umkringelt. Oft liegt der Bearbeitung eine fast psychisch motivierte Reaktion zu Grunde: zwischen Begeisterung und totaler Abneigung.

 

Im Projekt PHESBUK hat die Gesichter-Ebene somit eine eigene Funktion. Das Reagieren auf die Gesichter wird zum Aufschreibesystem einer Befindlichkeitsbeobachtung. Auf welche Köpfe reagiert der Künstler? Welchen kratzt er die Augen aus? Welche malträtiert er mit Leuchtstift bis zur Unkenntlichkeit? In seiner Herangehensweise lässt sich kein kohärentes System erkennen, sondern er arbeitet spontan und von Tagesformen beeinflusst, sodass sich die Gesichter in die persönliche Wahrnehmung und ins tägliche Medienkonsumverhalten von Bernhard Frue einschreiben. Das dergestalt über drei Jahre hinweg gefüllte Gesichterbuch erzählt auch eine Geschichte der Wahrnehmung von Personen in den Medien: Politiker, Stars, Sportler, Opfer oder Akteure bei Verbrechen oder anderen außergewöhnlichen Ereignissen, welche Herr oder Frau Unbekannt an die Oberfläche des länger oder kürzer währenden Bekannt-Seins spülen.

 

Darüber hinaus lässt sich die Gesichter-Ebene auch als konstruierte Oberfläche lesen, welche auch unseren „Personen“-Begriff kennzeichnet. Persona: Im Lateinischen bedeutet dieser Begriff nicht nur unverwechselbare Persönlichkeit, sondern auch Maske oder Rolle. Dieses Amalgam bringt es mit sich, dass wir das Individuum als etwas Wandelbares fassen, je nach Epoche oder Zeitenlauf gar als etwas Unstabiles, Verletzliches. In den heutigen Zeiten von Internet, Massen-Mailings und Online-Publishing zu allem Möglichen oder Unmöglichen, ist die Person erneut davon betroffen. Sie zeigt sich entweder deutlich überzeichnet als Klischee, Stereotyp oder Star in den medialen Plattformen. Oder sie bleibt als präsentiertes Konstrukt etwas Künstliches, ein abstrakter Adressat oder Sender von Zeichen zu einer anderen Person.

 

Da der Gesellschaft das Individuum abhanden gekommen sei, werde sie umso tätiger in der Installation sozialer Adressen, vermutet Cornelia Bohn. Die Spuren des Individuums müssen als wieder auffindbare Adressen fixiert werden. „Mit der Pluralisierung der Bezugssysteme für die Teilnahme an der Gesellschaft gerät die Kommunikation unter Abstraktionsdruck bei der Typisierung, Identifizierung und Fixierung des Personseins. Verdatung, Signalements, Pässe, Identifikationen, anthropometrische Verfahren, Daktyloskopie, DNA-Analysen sind nur scheinbar Methoden, um eine fehlerfreie Quelle am Individuum auszumachen, die unzweifelhaft auf seine Einzigartigkeit verweist.“

 

In der Tat ist die Sammlung der Personenbilder aus den Zeitungen und Magazinen von Bernhard Frue von dieser Abstraktion gekennzeichnet. Obwohl es sich bei den Köpfen in der Presse um Individuen handelt, vermögen wir sie in der medialen Situation nicht als solche zu erkennen oder begreifen, weil uns in den meisten Fällen der persönliche Bezug zu ihnen fehlt. Sie sind uns nur über die Medien, als mediale Projektionsflächen bekannt.

 

Medienwandel Buch: Manuskript – Foliant – Album – Facebook

 

Bezeichnenderweise greift Bernhard Frue in seiner Arbeit PHESBUK nicht nur das Thema der Identität im medialen Zeitalter auf, sondern auch den damit verbundenen Medienwandel. Der in schwarzes Kunstleder gebundene originale Foliant im Moleskine-Look namens PHESBUK ist in der Ausstellung im Kunstverein Medienturm Graz in vielerlei Weise medial reproduziert und präsent. Medial, userfreundlich, unnahbar. Ein fast sakral anmutender Raum zeigt das Original PHESBUK in einer Vitrine. Die edlen, schwarz eingefassten faksimilierten 150 Exemplare des PHESBUKs sind auf einem Regal Rücken an Rücken aufgereiht und betonen mit Tiefprägedruck im Titel ihrerseits das Bibliophile des Künstlerbuchs. In diesem sakralisierten Raum der Handschrift und des Originals findet sich gleichzeitig auch die multimediale Präsentation des Skizzenbuchs: das gescannte und animierte Exemplar BUK (2012): In einer einfachen Pageturn-Animation wird das Faksimile Blatt für Blatt umgewendet. Wie bei einer alten Handschrift werden für den Benutzer digitalisierte Scans erstellt, die dann online oder an einem Terminal in der archivierenden wissenschaftlichen Bibliothek für Forschungszwecke eingesehen werden können. Ein deutlicher Verweis auf die behauptete Kostbarkeit des originalen Skizzenbuchs. Je wertvoller oder einzigartiger das Unikat oder Original ist, desto mehr wird auf die Beschränkung des Zugangs bei der Lektüre geachtet. Soll die Community klein und exklusiv bleiben, muss man die Bibliothek vor Ort aufsuchen und die digitalisierte Version kann nur im Lesesaal oder über einen kostenpflichtigen Onlinezugang abgerufen werden.

 

Was bedeutet jedoch bei Bernhard Frue die Sakralisierung des Künstlerbuchs, des Originals? Im Kontext der Kunst ist ja jedes Werk ein Original, das durch die Bekanntheit oder Berühmtheit des Autors seinen Wert erhält. Walter Benjamin hat dieses Phänomen als erster in seinem Aufsatz zur Reproduzierbarkeit der Kunstwerke mit dem Begriff der Aura zu fassen versucht. Je mehr technische Reproduktionen zu einem Werk bestehen, desto eher verliert es an Aura, somit an Wert, war seine These.

 

Was besitzt PHESBUK an Aura? Kann dieser Begriff im Zeitalter der unendlichen und unendlich schnellen Reproduzierbarkeit seine Bedeutung überhaupt noch ausspielen? Ist im Zeitalter der Medienkunst, wo Kopie und Sampling als künstlerische Strategie scheinbar gleichberechtigt neben dem Unikat, dem Originalwerk des Künstlers stehen, ein Begriff wie Original oder Aura nicht schon längst obsolet? Gerade diesem Umstand versucht Bernhard Frue mit konzeptionellen Aspekten in seiner Ausstellung im Kunstverein Medienturm entgegenzuwirken.

 

Die Aura hat den Künstler bereits früher in seinem Werk als vielbelasteter Begriff herausgefordert, als „Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag“. In seiner Installation CREME (2008) in der artfinder Galerie in Hamburg stellte Bernhard Frue verschiedene mit fluoreszierenden Neon-Farben versehene Bildtafeln mit kreuzförmig angeordneten, schwarz unterlegten Begriffen wie ANALMENTAL–BANALCREME, STATE HOUSING, EATANIMALCUM–NO FATHER in den von künstlichem Licht blauviolett beleuchteten Raum. Hinter den an die Wand angelehnten Tafeln leuchtete das helle Neonlicht und versah die harten Kanten mit einem Lichtflor. Scharfe Grenzlinien und Kanten mit Licht oder anderen Hilfsmitteln zu verunklären, ist ein bekanntes Phänomen der Auratisierung. Spiegeleffekte im Raum, theatrale Beleuchtung und Fluoreszenz gehören zum wiederkehrenden Repertoire im Kontext der Aura bei Bernhard Frue.

 

Unikat, Camouflage, Namen, Identität

 

Mit der Verfremdung von Namen und Wörtern unternimmt der Künstler Bernhard Frue ein eigenes Vexierspiel. Scheinbar zusammenhangslos kombinierte Wörter oder Satzfragmente – appliziert auf kreuzförmige Stäbe – kennzeichnen viele von Bernhard Frues Text-Bild-Arbeiten. Anagrammatische Verdrehung von Buchstaben und fehlerhafte Schreibweisen, gewonnen aus der Verschriftlichung mündlich ausgesprochener englischer Wörter, bilden sich auch in der Titelgebung seiner Werke ab. PHESBUK statt Facebook, Tschicken statt Chicken, Ket statt Cat. Seit dem Beginn der Ausstellung im Kunstverein Medienturm, somit seit dem 27.1.2012, signiert Bernhard Frue zudem mit seinem verkürzten Namen. Vorerst ist diese Namenskürzung eine künstlerische Setzung, eine Behauptung, ein Künstlername. Denn weder ist sein Briefkasten so angeschrieben, noch ist sein Telefonanschluss unter diesem Namen eingetragen, geschweige denn sein Bankkonto, Pass oder seine Krankenversicherung. Bleibt es „nur“ ein Künstlername, ein Privileg, das dem Künstler ohnehin als Praxis zugebilligt wird?

Nein, sagt Bernhard Frue, es soll sein richtiger Name werden. Die Namensänderung ist Realität. Somit wird dieser künstlerische Schachzug die Identität des Künstlers treffen, die Person. Dahinter steckt wiederum eine längere persönliche Geschichte des Künstlers, der schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken gespielt hat, seinen Namen zu ändern. Begonnen hat es damit, dass er vor ungefähr zehn Jahren seinen Namen von Frühwirth auf Fruehwirth geändert hat.

 

SO: Warum? Was steckt dahinter?

BF: Es gab schon immer Probleme mit der Schreibweise des Namens. Bei mir entwickelte sich eine Unzufriedenheit gegenüber meinem Namen, gleichzeitig auch ein Gestaltungsbedarf. Erstaunlicherweise gibt es in meinem New Yorker Skizzenbuch, das heute PHESBUK zugrunde liegt, einen Eintrag zu diesem Bedürfnis, den Namen zu verändern. Bei der Ausstellungsvorbereitung im Kunstverein Medienturm ent59

schied ich mich, das „hwirth“ wegzulassen. Das vereinfacht die Sache. In der Grazer Ausstellung habe ich zum ersten Mal diesen Namen offiziell so verwendet. Ich habe nicht im Sinn, weiter als Fruehwirth zu agieren, sondern als Bernhard Frue. Unter welchem Namen ich meine Rechnungen zahle, ist mir nicht ganz so wichtig. Aber die Absicht ist, dass im Kunstkontext Frue als Künstlername bleibt.

 

SO: Hans Blumenberg hat in seinem Buch Die Arbeit am Mythos geschrieben, alles Weltvertraute fängt an mit den Namen, zu denen sich Geschichten erzählen lassen. Ist für dich der Namenswechsel eine Art neuer Anfang?

BF: Sicher will ich damit in Zukunft arbeiten. Die Beschäftigung mit meinem Namen ist ein Fetisch. So wie ich immer mit Elementen aus meiner Lebensgeschichte gearbeitet habe, offen oder verdeckt.

 

Bernhard Frue ist als Künstler somit sowohl Voyeur als auch Transformator, der nicht davor zurück schreckt, den eigenen Namen zu verkürzen. Eine letzte Distanz jedoch bleibt; die zum unbekannten Nachbarn in der Großstadt. In der dreiteiligen Videoprojektion Exercise in Proportion and Cut (2012) der Grazer Ausstellung, die sich im selben Raum wie die Videoanimation BUK (2012) befindet, wird die Privatheit bei anderen / bei Unbekannten zum Thema gemacht. Obwohl der Titel eine rein formale Studie von Fensteraufnahmen an Hausfassaden ankündigt, steckt mehr in diesen Videoarbeiten: Es sind Hunderte von Fenstern, von der Straße aus mit der Hand oder einfachem Stativ ein bis zwei Minuten lang gefilmt, auf das Fenster zoomend, so nah es die Kameraposition aus bis zu 150 Metern Distanz erlaubt. Der Künstler produzierte auf diese Weise über neun Stunden Videomaterial. Die kurzen Sequenzen wurden zu drei je dreistündigen Filmen zusammengefügt, sodass sich die Inhalte bei einer Dreifachprojektion zeitlich leicht verschieben, aber ungefähr dreimal die gleiche Chronologie abläuft. Die Fenster, die sich der Künstler zum Filmen aussucht, sind vorerst eine abstrakte grafische Oberfläche, ein simples Rechteck, mal beleuchtet, mal in nachtdunklem Schwarz. Manchmal zeigt sich das Dahinterliegende, das sich über Lichter-Löschen, Fenster-Öffnen oder -Schließen andeutet. Es tauchen schemenhaft Personen auf. Das Geheimnis ruht im Verborgenen, nicht im Öffentlichen der Medien.

 

Distanznahme, Verfremdung, Loslösung: Es sind diese Strategien, die dem Betrachter von Bernhard Frues Arbeiten ein immer wieder neues Setting von medialer Manipulation vorführen, und so lässt sich heute, 80 Jahre nach Benjamin, behaupten, dass die Aura ein Resultat von medialer Verfremdung und Distanz ist.

 

 

Skype-Meeting, 3.2.2012

Cornelia Bohn, „Individuen und Personen“, in: Person/Schauplatz, Reihe Interventionen, Bd. 12, hg. von Jörg Huber, Zürich Wien New York 2003, S. 161–181, hier S. 179.

Bohn 2003, S. 181.

Anders noch in den Zeiten, da Schreiben und Lesen Tätigkeiten einer durch den Klerus gebildeten Elite waren, die sich am Rhythmus und der Energie der schreibenden Hand orientierten, ist die Arbeit am Text heute ein reproduzierendes Phänomen geworden, das sich in hohem Tempo und umfassender Globalität abspielen kann (nicht muss). Die modernen technischen Möglichkeiten der Reproduktion führen sowohl zur Massenhaftigkeit wie zur Beweglichkeit des Kunstwerks. Seine geschichtliche Zeugenschaft gerät ins Wanken und es verliert seine Autorität: „Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“ Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1939, S. 477.

Aura: einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag. Walter Benjamin, „Kleine Geschichte der Photographie“, in: ders., Gesammelte Schriften, Band II, Frankfurt am Main, 1977, S. 378.

Skype-Meeting, 29.1.2012

Hans Blumenberg, Die Arbeit am Mythos, Frankfurt am Main 1979, S. 41.

Persönliche Begegnung, 13.2.2012