Galerie Mezzanin

KR: Schaut man sich Katalog- und Pressetexte zu Ihren Ausstellungen an, so wird Ihr künstlerischer Ansatz vorzugsweise als einer beschrieben, der durch

– teils explizite und teils minimale – Eingriffe für spezifische institutionelle Verfasstheiten sensibilisiert und architektonische, ästhetische sowie soziale Bedingungen der Kunstproduktion und Rezeption beleuchtet. Meine erste Frage zielt in diesem Zusammenhang auf konkrete Strategien beziehungsweise Ihre spezifische Methodik ab, Verschiebungen zu produzieren. Was passiert beispielsweise bei der ‚Verdopplung’ von Räumen, Architekturelementen, Türen, Zugängen usw.? Wie funktioniert sie, operiert sie? Was interessiert Sie am meisten daran?

 

MR: Diese Verschiebungen, von denen innerhalb meiner Arbeit oft gesprochen wird, entstehen auf sehr unterschiedliche Weise, meist verhält es sich so, dass ein sich im Raum befindendes Objekt oder eine architektonische Veränderung dazu dienen, bestimmte Situationen zu erzeugen, die dann den eigentlichen Kern einer Arbeit bilden. Die Verdoppelung spielt meines Wissens in meiner Arbeit, abgesehen von wenigen Beispielen, nicht unbedingt eine herausragende Rolle, aber dieselbe als ein sehr grundlegendes und altes künstlerisches Mittel gesehen ist natürlich interessant.

Bei meiner Ausstellung Isolated Human Particles Floating Weightlessly Through the Magnetic Stream of Fabricated Pleasure Occasionally Colliding (2006) war das Verdoppeln natürlich ein sehr zentrales Moment der Ausstellung. Hier wurden zwei identische Ausstellungen einander gegenübergestellt. Sie wurden zeitgleich an verschiedenen Orten in Frankfurt eröffnet, es gab die gleiche Eröffnungsrede und natürlich die gleichen Arbeiten. Dennoch hatten beide Ausstellungen einen sehr unterschiedlichen Charakter, da die eine in einer privaten Wohnung stattfand, die andere in einem öffentlichen Ausstellungsraum. Die zentrale und größte Arbeit, die gleichzeitig relativ unscheinbar war, war die einzige, die nicht im klassischen Sinne doppelt vertreten war.

Die Arbeit The Move (2006) bestand aus der Verlagerung der kompletten Einrichtung und Besitztümer von Meike Behm und Peter Lütje, den Betreibern des Ausstellungsraums rraum in den Hinterraum der öffentlichen Institution. Der Umzug wurde von einem Umzugsunternehmen durchgeführt, das dadurch auch zu einem Teil der Arbeit wurde. Das führte dazu, dass die Wohnungsausstellung ein relativ neutrales Erscheinungsbild bekam, während im anderen Kunstraum die Gegenstände gelagert wurden. Weniger als Skulptur denn als eine bloße, im Rahmen der Ausstellung bewegte Masse. The Move spielt unter anderem mit dem immensen Aufwand, der im Backstage-Bereich von großen Konzerten, bei Filmdrehs und anderen kulturellen Veranstaltungen stattfindet. In meinem Fall war es ein mehr oder weniger sinnfreier und für sich stehender Aufwand im Rahmen der beiden Ausstellungen.

 

KR: Da würde ich gern noch eine weitere Frage anschließen, die von Rezeptionen beziehungsweise Lesweisen Ihrer Arbeit ausgeht. Vanessa Joan Müller beschreibt Ihre Arbeiten als „kontextbezogene Installationen“ und in der Pressemitteilung der Berliner Flutgrabenfabrik zur Verleihung des GASAG-Kunstpreises 2007 ist die Rede von „situationsspezifischen Installationen“. Haben solch positive Bezugnahmen auf den Begriff der Installation sowie die Vermeidung der Labels Ortsspezifik und Institutionskritik Ihrer Auffassung nach eher mit Kunstkritik-Konjunkturen zu tun oder inwieweit ergeben sie sich zwingend aus dem Werk? Sie selber sprachen eben davon, bestimmte Situationen zu erzeugen...

 

MR: Möglicherweise liegt das an der Schwierigkeit, aber auch der vermeintlichen Notwendigkeit, eine künstlerische Arbeit mit einem Label zu besetzen beziehungsweise sie mit bekannten Begriffen zu erklären zu versuchen und verständlich zu machen und in einen Kontext zu setzen. Die verwendeten Begriffe „kontextbezogene Installation“ wie auch „situationsspezifische Installation“ sind nicht unbedingt falsch, verwirren aber wahrscheinlich mehr als dass sie zur Klärung einer Arbeitsweise beitragen. Ich persönlich würde meine Arbeit äußerst selten als situations-, ortspezifisch oder kontextbezogen umschreiben. Die Arbeiten sind so angelegt, dass sie unabhängig von einem Ort funktionieren können, und meistens eben auch unabhängig von einem Kontext. Die Kontexte sind es ja, die jede wie auch immer geartete künstlerische Arbeit verändern. Meine Arbeit ist auch nicht institutionskritisch, jedenfalls nicht von meiner Seite aus gesehen. Es mag sein, dass, wenn die Arbeiten in den 70ern oder 80ern entstanden wären, man von einer Institutionskritik hätte sprechen können, heute aber greifen solche Begriffe oft zu kurz und verdammen eine künstlerische Arbeit in eine bestimmte Nische, die eine weiterführende sinnvolle Rezeption und Beschäftigung mit ihnen schwer möglich macht. Ich finde diese im Moment sehr weit verbreiteten künstlerischen Positionen in den meisten Fällen sowieso sehr schwierig, die ihrer Ästhetik politische, ökologische oder institutionelle Beweggründe vorausschieben. Nicht dass ich hier missverstanden werde, es ist natürlich gut und schön, wenn eine künstlerische Arbeit als politisches Statement  funktioniert oder in sich sehr politisch sein kann, aber nicht in erster Linie und als alleiniger Ausgangspunkt einer Arbeit. Möglicherweise hat das auch mit Kunstkritik-Konjunkturen zu tun, aber auch dort gibt es ja gewisse Entwicklungen. Generell versuche ich dieser Belabelung zu entgehen, auch wenn es, wie man sieht, nicht immer zu funktionieren scheint. Wenn ich von Situationen erzeugenden Arbeiten spreche, meine ich die Umstände und Wahrnehmungsmöglichkeiten, die durch einen künstlerischen Eingriff entstehen und von deren eigentlichen Materialität wegführen und mehrere Lesarten zulassen. Im Grunde passiert das natürlich mit jedem Bild, das in einen Raum gehängt wird, ebenso. Und als Bilder möchte ich meine Arbeiten natürlich zu allererst auch gesehen haben, ich bin ja Künstler und Künstler machen Bilder. Zum Begriff Installation kann man ja eigentlich auch nur sagen, dass jedes an eine Wand gehängte Bild zur Installation wird, eventuell liegen die Gewichtungen bei dem jeweiligen Künstler etwas anders, letztendlich macht es aber einen Großteil der Rezeption einer Arbeit aus, wie sie im Raum hängt und was sie mit ihm macht.

 

KR: In einigen Ihrer Arbeiten finden sich zum Teil direkte Anspielungen auf historische Positionen und Dokumente, etwa auf Arbeiten von Künstlerkollegen wie Broodthaers und Warhol oder auf ein Foto vom Gebäude der New Yorker Armory Show, jenes Ausstellungsereignis von 1913, das – von Künstlern organisiert und äußerst geschickt kommuniziert – einen Wendepunkt im US-amerikanischen Ausstellungswesen darstellte. Was hat Sie an ausgerechnet diesen Vor-Bildern gereizt?

 

 

MR: Das hängt wahrscheinlich zu einem großen Teil mit Büchern zusammen, die ich zu einem bestimmten Zeitpunkt gelesen habe. Diese Zitate entstanden dann meist eher zufällig, passten aber jeweils gut zu bestimmten Arbeiten. Zum Teil ist es auch so, dass diese Referenzen erst später aufgetaucht sind. Bei der Arbeit, bei der die Limousinen vor der Ausstellungshalle geparkt sind, war das so. Die Arbeit ist ja keine direkte Referenz auf die Armory Show; dieses Bild, das ich später in einem Buch gefunden habe, wahrscheinlich durch meine verstärkte Suche nach geparkten Autos vor Ausstellungshallen, hat aber natürlich gut als Referenz funktioniert, gerade auch wegen des Bekanntheitsgrades der Ausstellung und diesen Pferdefuhrwerken vor dem Gebäude. Direkt aus einem Warholtext entnommen ist dagegen eine Passage, die auf der Einladungskarte für die Warschauer Wohnungsausstellung Invitation (2005) abgedruckt ist, sie ist aus dem Buch From A to B And Back Again aus einem Abschnitt, in dem Warhol sich darüber äußert, warum das Wohnen in Einzimmerwohnungen am besten ist, was man mit einer solchen aber noch für Probleme hat. Auf der Karte ist er nicht als Titel aufgetaucht sondern vielmehr als eine Art Anleitung. Der Titel When I Look at Things I  Always See the Space They Occupy (2004) für das Messingschild mit meinem Namen an der Außenwand eines Gebäudes, auch einer Textpassage aus From A to B And Back Again entnommen, dient einer Klärung der Arbeit, ist aber inhaltlich, verglichen mit dem Originaltext, etwas verschoben. Mich hat gerade an diesem Buch gereizt, dass viele Passagen, aus heutiger Perspektive betrachtet, ziemlich grundlegende Überlegungen zu Kunst enthalten, die nicht unbedingt nur die Arbeit Warhols betreffen.

 

KR: Mir ist zudem ein Foto aus Ihrem Katalog THE IMAGE ITSELF (Berlin 2007) in Erinnerung geblieben, das eine Raum- beziehungsweise Installationsansicht der Arbeit On and On (2007) zeigt. Am linken Bildrand sieht man Elemente der Arbeit Coppice (2007), deren Zimmerpflanzen stark an Marcel Broodthaers erinnern und hier die Sicht auf eine Fahrstuhltür und möglicherweise auch den Zugang zu dieser zu versperren scheinen. Aufgerufen werden gleichzeitig Vorstellungen von Orangerien und Tropenhäusern oder etwa von der Beamtenpalme, von Behördenfluren und Amtszimmer-Mief. In welchem Bezug stehen On and On und Coppice , was ins Deutsche übersetzt soviel wie „Dickicht“, „Unterholz“ bedeutet, zu ihren Titeln und inwieweit gehen beide hier miteinander eine besondere Beziehung ein?

 

MR: Die Titel Coppice und On and On sind in erster Linie direkte Anspielungen auf das, was vordergründig bei den Arbeiten passiert. Die Arbeit Coppice ist eine Gruppe von verschiedenen Pflanzen, die sich um einen Durchgang drängen und ihn versperren. Im Frankfurter Kunstverein kam hinzu, dass dadurch der einzige mögliche Zugang zum Ausstellungsraum der Aufzug war, wodurch dieser Automat in Gang gebracht werden musste, nur um von einem Raum in den nächsten zu gelangen. Das kam natürlich gelegen und war auch ein Grund dafür, warum ich die Arbeit dort realisiert habe. Was mich an dieser Arbeit vor allem interessiert, ist, neben ihren offenkundigen Qualitäten, einen Raum zu verschönern, dass sie die Architektur eines Gebäudes umstrukturiert beziehungsweise dessen Grundriss verändert und neue Wege notwendig macht. Im Zusammenspiel mit der Arbeit On and On und ohne Titel (2006), der Arbeit mit den schwarzen tapezierten Postern, ergeben sich für mich Assoziationsmöglichkeiten, die eher von einer Büropalme weg, über Botanische Gärten zu Vergnügungsparks und zur Unterhaltungsindustrie führen. Die Arbeit On and On ist der wohl direkteste Verweis auf Theater, Kino oder andere Arten von Shows. Hier wechselt alle paar Minuten die existierende Raumbeleuchtung mit einem bei Filmaufnahmen oder für Bühnenzwecke verwendeten Scheinwerfer. Jetzt geht es los, jetzt hört es auf.

 

KR: Sie spielen mit On and On auch auf das filmische „Day for Night“-Simulationsverfahren an, mit dem man durch spezielle Kalt-Warm-Kontraste, Filter und Unterbelichtungen bei Tag gedrehtes Material wie Nachtaufnahmen erscheinen lässt, ein Verfahren was (film-)historisch etwa im US-amerikanischen Western eingesetzt wurde. Truffaut blickt mit La Nuit Américaine (Frankreich 1973) hinter die Kulissen einer Filmproduktion und mir scheint, dieser Film hätte auch im Rahmen Ihrer Arbeit Homevideo (1999) gezeigt werden können, einer Kooperation mit Alexander Wolff. Können Sie sich vielleicht zur Idee dieser Arbeit und zur Auswahl der gezeigten Filme äußern? Sie scheint mir aus so etwas wie einer Fanperspektive zusammengestellt, kombiniert Arthouse und Autorenfilm mit Blockbuster, „wertvolle“ Klassiker des Fiktion-Films mit Horror, Trash und Subkultur.

 

MR: Die Idee zu dieser Arbeit kam zum einen durch unser gemeinsames Interesse an bestimmten Filmen, zum anderen wohnten wir damals zusammen in Frankfurt und sahen fast jeden Abend Videos. Homevideo bestand aus einer für einen Monat gemieteten Wohnung im Zentrum von Frankfurt und ca. 130 Filmen, die während dieser Zeit in dieser Wohnung liefen. Auf der Einladungskarte zu der als öffentliche Ausstellung angekündigten Arbeit waren alle Filme alphabetisch aufgelistet und liefen auch in dieser Reihenfolge, jeden Tag zwischen 4 und 6 Videos. Durch dieses öffentliche Heimkino ergab sich immer wieder die seltsame Situation, neben vollkommen Unbekannten in der eigenen Wohnung auf dem Sofa zu sitzen und Videos zu sehen. Auf gewisse Weise könnte man diese Arbeit auch als eine Vorstufe zu Invitation von 2006 in Warschau sehen. Die Auswahl der Filme sollte eine möglichst große Bandbreite von Filmgenres abdecken, sie war sehr von persönlichen Gesichtspunkten geprägt, sozusagen eine Liste von unseren Lieblingsfilmen, die man sich eben immer mal wieder auf Video ansieht, es stimmt also, wenn man von einer Art Fanperspektive spricht. Vor allem aber waren wir daran interessiert, diese Liste nicht einem bestimmten Muster folgen zu lassen oder einen bestimmten Bereich abzudecken, es ging vielmehr um diese bestimmte Situation einer Wohnung, uns zum Teil fremden Besuchern und mehr oder weniger zufällig gewählten Filmen auf Video.

 

KR: Für Invitation wurde in Warschau für die Dauer von sechs Monaten ein Apartment angemietet und mit einer elementaren Möblierung aus Bett, Tisch und Stühlen ausgestattet. Dann wurde weltweit eine Vielzahl von (Nach-)Schlüsseln verschickt – zusammen mit der Einladungskarte, die mit einem Set von Fragen zum Besuch beziehungsweise zur Benutzung der Wohnung aufforderte. Auf ein Steuern der Besuche (etwa durch Belegungspläne usw.) wurde verzichtet. Stattdessen blieb es dem Zufall überlassen, wer wann wem in der Wohnung begegnen würde und wie man sich arrangierte. Charakteristisch für die Arbeit ist meiner Auffassung nach, dass das Verhältnis von öffentlich/privat dabei jeweils neu auszuhandeln war. Ich frage mich allerdings, nach welchen Kriterien die Schlüssel an wen versendet wurden, wie sie zirkulierten und – natürlich – was vor Ort geschah. Und: Inwieweit fühlen Sie sich für die tatsächliche Nutzung überhaupt verantwortlich? Gab es Kontakt mit den Besucher/innen, gab es ein Feedback? Hatten Sie ein Interesse an so etwas wie einer Evaluation oder auch der Dokumentation der Nutzung? Invitation scheint mir – zumindest auf den ersten Blick – soziologischer zu argumentieren als Homevideo. Würden Sie dem zustimmen?

 

MR: Die Arbeit ist, verglichen mit Homevideo und bezogen auf das Thema Wohnung, natürlich sehr viel grundlegender, da sie den grundsätzlichen Nutzwert einer solchen neu verhandelt und auszuhebeln versucht. Dieses öffentliche/intime, das bei der Arbeit natürlich eine Rolle spielt, war letztendlich nur die Folgerung auf die Überlegung, wie man dieses Format und den Zustand einer Privatwohnung dekonstruieren oder ganz entfernen kann. Invitation hat ja schon bei der Verschickung beziehungsweise bei der persönlichen Übergabe begonnen und ist weiter fortgeschritten je mehr Schlüssel im Umlauf waren und je mehr mögliche Besitzer oder Bewohner der Wohnung existierten. Ob die Wohnung dann tatsächlich von dieser Person genutzt wurde oder ob der Schlüssel mit der Karte nur als eine theoretische Möglichkeit funktioniert hat, war völlig offen. Die Versendung der Einladungskarten mit Schlüssel hat funktioniert wie bei jeder anderen Ausstellung auch. Es gab einen Verteiler, in dem Fall die beiden von Alexander Wolff und mir, an diese wurde verschickt und der Rest der Karten wurde nach Gutdünken per Hand verteilt. Wie und ob sie dann zirkulierten, ist mir in den allermeisten Fällen unbekannt. Es war letztendlich für die Arbeit auch nicht so wahnsinnig wichtig zu wissen, was genau dort passiert ist, obwohl das natürlich sehr interessant gewesen sein könnte.

 

KR: Vielleicht können wir an dieser Stelle auf Pictures (2007) zu sprechen kommen, jene Arbeit, die Sie in Kirchdorf-Süd im Rahmen des Wilhelmsburger Freitags zeigten. Vereinfacht gesagt handelt es sich hier um die Aufführung eines aktuellen, populären Kinofilms in einer Wohnung im obersten Stock eines Hochhauskomplexes.

Dazu wurde der Wohnraum einer 2-Zimmer-Wohnung mit Sofas und anderen Sitzgelegenheiten möbliert. An zentraler Position im Raum fand sich ein (Kino-)Filmprojektor installiert, der weder visuell noch akustisch abgeschirmt wurde, sondern vielmehr zu festen Terminen „physisch“ in Betrieb zu sehen und durch das ratternde Projektorengeräusch zu hören war.  Projiziert wurde die Kinoversion des aktuellen Blockbusters Die Simpsons – der Film (USA 2007, Regie: David Silverman). Der für die 20th Century Fox produzierte Zeichentrickfilm, der zeitgleich weltweit in den (Groß-) Kinos lief, wurde in  einem Breitbandformat für die Projektion in Kinosälen gezeigt, hier jedoch aus kurzer Distanz und auf kleinster Fläche auf die Wand geworfen. An der Außenfassade des Hochhauses wies eine beleuchtete weiße Tafel mit einer schlichten schwarzen Typo lapidar auf die Vorführung hin, was an die (historische) Praxis der Bewerbung von Kinofilmen mit Wechselbuchstaben erinnerte: THE SIMPSONS / DER FILM MI SA SO 20 UHR. Platziert war dieses Schild exakt an jener Stelle der Fassade, hinter der sich im 13. Stockwerk die reale Wohnung und damit auch die bezeichnete Projektion befand. Die Arbeit konterkarierte illusionistische und kommerzielle Interessen: Sie machte öffentlich, wie die Vorführung funktioniert, verzichtete auf Eintrittsgelder und stellte – eingeschränkt – Getränke zur Verfügung.

Wie bereits bei Homevideo und Invitation wurde auch für Pictures mit dem Wohnsilo in Kirchdorf-Süd bewusst ein „kunstferner“ Ort gewählt. Wo liegen Ihrer Auffassung nach die Spezifika dieses (sozialen) Raums beziehungsweise Rahmens? Begreifen Sie die Arbeit wegen ihres lokalen Kontextes als eine Radikalisierung? Inwieweit würden Sie Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten zu anderen Ihrer Arbeiten hervorheben, die den Kunstraum zur Voraussetzung haben?

 

MR: Die Wahl des „kunstfernen Ortes“ hat weniger mit der Arbeit an sich zu tun als vielmehr mit dem Format der gesamten Veranstaltung. Es handelte sich um eine Ausstellung im öffentlichen Raum und die findet ja grundsätzlich innerhalb eines Rahmens statt, bei dem die normalerweise durch Architektur bedingte institutionelle Struktur durch einen durch das Gesamtprojekt selbst definierten Rahmen abgesteckt wird. Für mich war es beim Arbeiten in einer durch einen solchen Rahmen verorteten Struktur interessant, gerade auf den privaten Rahmen zurückzugreifen und so die Verhältnisse wieder umzukehren. Der Begriff öffentlicher Raum greift meiner Meinung nach bei diesen Veranstaltungen ja nicht sehr weit, da es immer um eine Definierung eines Raumes geht, die sehr einfach jede zum Beispiel museale Struktur zu ersetzen in der Lage ist. Ich denke, dass eine Arbeit wie Pictures auch innerhalb des institutionellen Rahmens eines Museums oder einer Kunsthalle funktionieren kann. Sie würde sich natürlich sehr verändern und die Frage wäre natürlich berechtigt, ob man dann noch von der gleichen Arbeit sprechen kann. Insofern sehe ich aber eigentlich keinen Unterschied zu anderen Arbeiten von mir. Ich denke, man kann nahezu jede Arbeit in jedem erdenklichen Umfeld verorten. Dass sie sich dabei verändert, bzw. sogar zu einer gänzlich neuen Arbeit wird, ist ein Nebeneffekt, den man wahrscheinlich bei sehr vielen Kunstwerken beobachten kann.

 

KR: Lassen Sie uns doch solche Veränderbarkeiten am Beispiel von Pictures einmal durchspielen: Nach meiner Information wurde Pictures vor Hamburg bereits in Madrid gezeigt, hier kam der Action-Thriller Déja Vu – Wettlauf gegen die Zeit von Tony Scott (USA 2006) zur Aufführung. Können Sie näheres zur Madrider Arbeit sagen? Welche Erfahrungen dort führten zu welchen Entscheidungen für die Hamburger Präsentation?

 

MR: Die Versionen in Madrid und Hamburg haben sich prinzipiell nicht voneinander unterschieden. Die Grundelemente waren dieselben, eine Wohnung in einem Wohnhaus, diese war in Madrid allerdings im Stadtzentrum, ein Leuchtschild an der Fassade, ein 35mm Kinoprojektor und ein aktueller Spielfilm. Der Unterschied lag vor allem daran, dass bei der Hamburger Version viel mehr Kinder aus dem Gebäude selbst zu den Vorführungen gekommen sind. In Madrid waren, soweit ich weiß, nur Besucher da, die eher einem Kunstpublikum zuzurechnen waren.

 

KR: War die Präsentation der Arbeit in Hamburg möglicherweise gerade wegen der spezifischen sozialen Struktur von Kirchdorf-Süd ein Versuchsballon mit komplett offenem Ausgang oder trifft hier eher die Vorstellung einer Reihe von formalisierten Experimenten zu ähnlichen Bedingungen?

 

MR: Also, ein Ballon sollte das ja immer sein, egal wo eine Arbeit realisiert wird. Der Ausgang ist insofern nicht wirklich offen, da es ja nicht um diesen geht. Es besteht aber natürlich die Frage, wie etwas wo funktioniert. Diese Frage stellt sich aber immer, egal ob man z. B. einen Ad Reinhardt irgendwohin hängen muss oder etwas anderes.

 

KR: In der Berlinischen Galerie haben Sie kürzlich einen Schlüsselbund in den Ausstellungsraum gehängt. Ich würde diese Geste gern zum Anlass nehmen, auf so etwas wie die Werkentwicklung über die Jahre zu sprechen zu kommen. Inwieweit entspricht diese extrem reduzierte Arbeit einer Entwicklung, die weg führt vom physischen Eingriff – etwa der Veränderung des Ausstellungsraums durch das Hineinstellen von Gegenständen, die architektonische Veränderung etc.? Ihren Ad Reinhardt Bezug finde ich deshalb interessant, weil Reinhardt als Maler Bilder produziert und zugleich extrem konzeptuell vorgeht.

 

MR: Die Arbeit mit den Schlüsseln des Museums im Museum war für mich tatsächlich so etwas wie eine Weiterentwicklung früherer Arbeiten. Es geht um eine Art von Sprache beziehungsweise ihre Ausformulierung und ausgehend von Arbeiten mit Türen, Wohnungen beziehungsweise Eingängen kommt man irgendwann zum Punkt, anstatt eine ganze Tür zu bauen, sich nur noch die Schlüssel der schon existierenden zu nehmen. Eine solche Reduktion macht aber natürlich nicht immer Sinn und ist nicht immer schön, sie hängt ja von verschiedenen Umständen ab, deswegen würde ich das Hineinstellen von Gegenständen und das Aufhängen von Bildern in Ausstellungen auf keinen Fall als eine ad acta gelegte Praxis ansehen.

 

KR: Ich finde es interessant, dass dem Betrachter/der Betrachterin dabei – zumindest potentiell – ein größerer Handlungsspielraum zur Verfügung steht: er/sie könnte die Schlüssel vom Haken nehmen und sich damit Zutritt zu allen Räumen des Museums verschaffen, zu denen gewöhnlich der Zugang verwehrt bleibt. Eine vergleichbare Möglichkeit sehe ich bei der Publikation Tokyo Panda (2004), die mit verschiedenen Formaten und Textgenres experimentiert. Das Layout von Tokyo Panda ermöglicht es dem Leser/der Leserin, den Kunstkatalog-Teil mitsamt Text und (einem Teil der) Abbildungen wegzuschneiden und stattdessen ein Heftchen mit einer Liebesgeschichte übrig zu behalten. Die meisten werden dies allerdings kaum versuchen, da Konventionen, Vorstellungen von der Vollständigkeit und der Aura des Kunstwerks sowie die eigene Sammelleidenschaft diesem Vorgehen entgegenstehen.

Die Erzählung von Tokyo Panda spürt Affekten, Missverständnissen und dem Sich-einander-entfremden innerhalb der Beziehung eines deutsch-italienischen Journalisten und seiner brasilianischen Freundin nach, das ganze aus der Perspektive des männlichen Protagonisten, mit einem gewissen zeitlichen Abstand – d. h. nach der Trennung – und mit Cliffhanger am Ende. Was hat Sie an dem Genre der Liebesgeschichte gereizt? Ging es hier möglicherweise auch um Analogien beziehungsweise Bilder einer Beziehung zur Kunst?

 

MR: Im Grunde funktioniert diese Arbeit mit den Schlüsseln ja auch wie eine Art Cliffhanger. Erst einmal sind es ja nur Schlüssel, die zwar etwas Bestimmtes repräsentieren, aber erst durch die Möglichkeiten, die deren Gebrauch theoretisch eröffnet, beziehungsweise die Probleme, die sie sicherheitstechnisch in einem Museum verursachen, zu einer Arbeit werden. Mich hat es hierbei auch gereizt, dass das Museum-Besucher-Kunstwerke-Verhältnis in gewisser Weise auf den Kopf gestellt wird. Natürlicherweise ist es die Aufgabe eines Museums, Artefakte zu erhalten beziehungsweise dafür zu sorgen, dass sie durch Handgreiflichkeiten von Besuchern keinen Schaden nehmen. In diesem Fall ist es erst einmal ein ähnliches Problem, dass Besucher sich nicht der Arbeit bemächtigen, aber eben nicht unbedingt ihrer selbst wegen, sondern weil sich zum Beispiel das Verschwinden dieser Arbeit sehr konkret auf alle anderen Arbeiten auswirken könnte.

Um auf Tokyo Panda zu sprechen zu kommen, hier hat der Autor der Geschichte (Vito Avantario, Hamburg), der als Ghostwriter gearbeitet hat, das Genre weitestgehend selbst gewählt. Es kam mir an sich sehr gelegen, dass es eine Liebesgeschichte geworden ist und dieses Format angenommen hat, da es auf den ersten Blick sehr weit von dem entfernt lag, was ich eigentlich mache. Die einzigen Angaben, die ich dem Autor für den Text gab, Stellen, die ich in die Geschichte eingeflochten haben wollte, waren Beschreibungen der Bilder, die meine Arbeiten abgeben, auch ohne dass der Betrachter über deren Hintergründe oder überhaupt von ihrer Existenz als Arbeiten wüsste; im Grunde deren rein visuelle Betrachtung innerhalb eines anderen Umfelds. Einzelne Stellen hatten auch autobiographische Züge, wie zum Beispiel der Titel, der anfangs nur als Platzhalter funktioniert hat, der aber innerhalb der Geschichte relativ wichtig wurde. Ich war 2002 mit meiner damaligen Freundin in Tokio um Freunde zu besuchen und es war tatsächlich der Fall, dass sich zu dieser Zeit der Panda des Tokioter Zoos aus Fortpflanzungsgründen in Mexiko City aufhielt und wir deswegen alle sehr traurig waren. Die infiltrierten Arbeiten könnte man ja auch bis zu einem bestimmten Grad als autobiographische Momente betrachten. Das Buch gibt es inzwischen in seinen beiden Formaten, in der zerschnittenen und der vollständigen Katalogversion, das Problem der Entscheidung gibt es also nicht mehr wirklich, außer man möchte noch mehr reine Liebesromane haben. Das eigentlich für mich Interessante war das Einflechten beziehungsweise Versetzen der Arbeiten, wenn auch nur textbasierend, in ein komplett anderes Milieu, das mit dem Kunstkontext nichts mehr zu tun hatte, und ein Versuch herauszufinden, wie diese Arbeiten als bildliche Erzählung funktionieren.

 

Mandla Reuter in an Interview with Karin Rebbert Conducted via E-Mail at the End of 2007