Die Arbeiten Mandla Reuters sind so diskret wie Tarnkleidung und zugleich so aufdringlich und offensichtlich wie Straßensperren. Diese zweideutige Materialökonomie deutet Reuters Interesse an Raumfunktionen und ihrer Verwandlung an: was den Raum kontrolliert und was ihn repräsentiert, was ihn beschleunigt und was ihn bremst, und wie Informationsflüsse und der Verkehr von Körpern umgeleitet werden können.
Im wörtlichsten Sinn konfrontieren Reuters Blockade-Arbeiten das Kunstpublikum und seine visuelle und physische Beherrschung des Galerieraums: ein großer Stein verstellt die Eingangstür einer Galerie (ohne Titel, 2006); ein dschungelartiger Wald von übermannshohen Pflanzen ist in einem Treppenhaus aufgestellt (Coppice, 2007) und zwingt so die Besucher, neue Zugangswege durch Hintertüren und Aufzüge zu suchen. Zugang ist auch das Thema in Invitation (2006, in Zusammenarbeit mit Alexander Wolff), einer Arbeit, für die 500 Schlüssel zu einer anonym eingerichteten Wohnung in Warschau an Freunde, Kollegen und gänzlich Unbekannte verteilt wurden. Diese Geste der Gastfreundschaft eröffnete im Wortsinne ein Spielfeld, auf dem Potentiale des Zusammenlebens zeitweise spielerisch erprobt werden konnten. Die Umwandlung eines privaten in einen öffentlichen Raum wiederholte sich vor kurzem in Pictures (2007), für das Reuter eine Wohnung in einem Madrider Hochhaus mit einem 35-mm-Filmprojektor ausstattete. Für ein Publikum aus Kunstliebhabern und Passanten zeigte ein Filmvorführer einen Film, der zur selben Zeit auch in den großen Kinos Madrids, die Kassenschlager zeigen, lief, während eine große von hinten beleuchtete Anzeigetafel an der Fassade des Gebäudes die Vorstellungen ankündigte und so das Interieur des Wohnungs-Kinos mit dem Außenraum der Stadt verband.
Die schwachen Signale, die von der Leere des Kinos ausgehen, sind von zentraler Bedeutung in Reuters Werk. Die Photoserie 1, 2, 3, 4, 5 (2006), Photograph: Jeffrey Kocher, Los Angeles 2006, dokumentiert einen Sonnenuntergang in Hollywood ad absurdum: zwischen dem ersten und dem fünften Bild versinken die schönen Rot-Orange-Töne eines Sonnenuntergangs in Los Angeles in ein wenig mitteilsames Schwarz, als handle es sich um einen Hollywood-Film, der einen Moment zu lang ist. Die Repräsentation begibt sich in eine Zone der Gleichgültigkeit, in der der Betrachter sich dem Zusammenbruch von Erwartungen gegenübersieht.
In der Diskussion der Frage, wie der Illusionsraum des Films dem Galerieraum angefügt oder in ihn hineinprojiziert wird, wird Licht zu einer zentralen Metapher für den Status und die Funktion von Raum. So wird zum Beispiel die grundlegende binäre Operation des Aus- und Anschaltens des Lichts (The Building, 2004) eine entscheidende Operation, wenn die Verkabelung des Beleuchtungssystems eines ganzen Gebäudes auf einen einzigen Schalter im Galerieraum umgeleitet wurde. So demonstriert Reuters Arbeit, wie künstlerische Einbildungskraft nicht etwas ist, das außerhalb und jenseits des “Lebens” existiert.
Wie Judith Butler schrieb, ist die Einbildungskraft nicht das Gegenteil der Wirklichkeit; Einbildung ist das von einem Wirklichkeit genannten Konstrukt, das dadurch die Grenzen des Wirklichen bestimmt, Ausgeschlossene. Reuters Position scheint zu sein, dass das, was man sich einbilden kann, als Kunst existiert; also kann man darüber stolpern oder sich darin verlieren. Es kann einen auch für eine Nacht auf dem Sofa unterbringen. Die unwiderlegbare physische Wirklichkeit der Werke schafft Intervalle, in denen neue Formen der Dauer existieren.
Reuters Werk erinnert vielleicht an die relocation pieces des Kontextkünstlers Michael Asher; oder man mag sich ihm nähern wie einer Art Pop-Art oder appropriation art, die ihren Universalismus zugunsten eines Eingriffs in die Wirklichkeit aufgegeben hat. Michel de Certeau schrieb, dass Raum ein eingeübter Ort ist; in Reuters Arbeiten und den gesellschaftlichen Prozessen, die sie anregen, wird diese Aussage an ihr Extrem geführt durch unerwartete Praktiken und Wahrnehmungen, in denen die Galerie selbst als Ort enthüllt wird. Ein weiterer politischer Aspekt in Reuters Werk liegt in der Vorführung von Überresten der Entmaterialisierungsprozesse um uns herum: Selbst wenn unsere Subjektivität vernetzt und durch Technologie geographisch ausgeweitet wird, bleiben Schranken und Grenzlinien bestehen als höchst wirkliche und greifbare Grenzen, die sich uns im Alltag entgegenstellen.
Übersetzung: Gerrit Jackson
Katalogtext zur Ausstellung Neue Heimat – Berlin Contemporary in der Berlinischen Galerie, Berlin September 2007