Galerie Mezzanin

In einer Szene in Woody Allens „Annie Hall“ steht Alvy Singer in der Schlange vor dem Kino und muss sich unfreiwillig die Ausführungen zu Marshall McLuhans Werk des Herrn hinter ihm anhören. Singer tritt aus der Schlange und wendet sich direkt dem (Film)publikum zu, um die Erklärungen des Mannes zu wiederlegen. Schliesslich lässt er sogar Marshall Mc Luhan selbst hinter einem Filmposter auftauchen, um die Fehlinterpretation seines Werkes klarzustellen.

 

Ähnlich wie Alvy Singer in „Annie Hall“ immer wieder die herkömmlichen Erzählstrukturen des Filmes bricht und das Publikum direkt anspricht, scheint auch Mandla Reuter (*1975) mit seinen einfachen Eingriffen immer wieder den Ausstellungskontext zu verschieben. Der Berliner Künstler lässt „hinter die Kulissen“ blicken und macht Strukturen und Produktionsstrategien sichtbar.

 

Gwangju Biennale 2008: Durch die Ausstellungshalle schlängelt sich ein Schlauch – zwischen den ausgestellten Arbeiten hindurch, das Treppenhaus hinunter und ins Freie – wo das Ende an einen Hydranten geschraubt ist. Bellagio (2008) nennt Mandla Reuter diese Arbeit. Während in Las Vegas aus den 1200 Düsen der Springbrunnen des berühmten Hotels täglich Wasserfontänen von über 75m Metern schiessen, liegt in Gwangju das Wasser scheinbar still und unbeweglich im blauen Schlauch. Doch die Verbindung zum Hydranten ist vorhanden, der Wasserdruck stark und der Schlauch voll genug, um ein Wasserspektakel zu produzieren. Reuters Installation schliesst die möglichen Szenarien mit ein, schafft potenzielle, neue Bilder – vom stillen Wasser bis zu den hochschiessenden Fontänen. Mandla Reuter inszeniert in seinen Arbeiten oft eine temporäre Situation, deren Fortgang in unzähligen Variationen weitergedacht werden kann. Etwa so, wie die subtile Arbeit BG (2007), die Reuter in der Ausstellung „Neue Heimat“ in der Berlinischen Galerie zeigte. Dort hängte Reuter einen simplen Schlüsselbund an die Wand. Nur die Bildlegende informierte darüber, dass an der Metallring sämtliche Schlüssel der Berlinischen Galerie zusammenhielt. Es sind einfache Gesten, die Reuter ausführt, jedoch mit einem wichtigen Potential – mit der Möglichkeit, eine Situation verwandeln zu können.

Über ähnliche Möglichkeiten verfügt die Arbeit Fourth Wall (2008) in der ein Kabel von einem extra angelegten Starkstromanschluss durch den Ausstellungsraum hindurch führt und schliesslich in einem Anschlusskasten im sonst leeren Raum endet. Die theoretisch zur Verfügung stehende Energie würde ausreichen, um ein grösseres Theater oder ein Kino mit mehreren Sälen zu versorgen. Gleichsam lässt sich die Arbeit als eine Skulptur betrachten die„durch die Ausstellung mäandert, um erst am Ende ihren eigentlichen Zweck preiszugeben und so mit ähnlichen Mechanismen spielt, wie wie von der Unterhaltungsindustrie selbst etabliert wurden“ (Mandla Reuter). Die Bezeichnung The Fourth Wall kommt aus dem Theater des 19. Jhrs, als die Bühnen die Form eines Guckkastens hatten, bei dem die vierte, zum Publikum gewandte Wand offen war. Der Film-und Theaterkritiker Vincent Canby beschrieb einmald die vierte Wand als „that invisible screen that forever separates the audience from the stage“. Alvy Singer tritt also aus der Kinoschlange heraus direkt durch die „Vierte Wand“. Auch Reuters „Fourth Wall“ lässt die Betrachter die Ausstellung anders wahrnehmen, nicht nur weil das Kabel einen anderen Weg durch die Räume zeichnet: Sie (wie auch die Arbeit Bellagio) legt die Mechansimen offen, die schliesslich Bilder produzieren, während der Schlüssel in der Berlinischen Galerie die Türen zum „Back Stage“ öffnen könnte.

 

Manchmal funktionieren solche Verschiebungen auch über die Erinnerung und Imaginationen. In zwei seiner kürzlich realisierten Installationen versetzt Reuter die Betrachter durch ihre eigenen Assoziationen an andere Orte: In der Audioinstallation Credits (2008) lässt er am Ende Tages, kurz vor der Schliessung des Museums Filmmusik abspielen, und zwar jene Stücke, die am Ende des Films Auflistung aller beteiligten Personen begleiten. Ähnlich funktioniert Test 2008), in dem jede Stunde das Soundlogo von THX, dem Qualitätssiegel der George- Lucas Filmgruppe, über Lautsprecher durch den ganzen Ausstellungsraum abgespielt wird. Für eine kurze Zeit wird das Museum zu einem einzigen, grossen Kino in dem die Bilder kollektiver Erinnerung, aber auch die persönlichen Gedanken-Bilder der Besucher projiziert werden und sich mit der Realität im Museumsraum vermischen. Der imaginäre Raum der Filmbilder überlappt den Museumsraum. Die Musik mag für alle dieselbe sein, die Bilder, die sie generiert, unterscheiden sich von Besucher zu Besucher.

Dieses Spannungsfeld zwischen dem imaginären Raum und dem realen Ort provoziert Mandla Reuter immer wieder. Die dokumentarische Präzision mit er etwa einen Sonnenuntergang in Hollywood fotografieren lässt, scheint fast absurd angesichts der Tatsache, dass bei der Betrachtung der Sonnenuntergänge ihre geografische Lage meist unbedeutend ist und vorallen die Erwartungen, Wunsch- und Klischeevorstellungen das Bild bestimmen. 1, 2, 3, 4, 5 (2006) hält in fünf Stufen das Versinken der Sonne in glühenden Farben fest, bis schliesslich ein Schwarz übrigbleibt „als handle es sich um einen Hollywood- Film, der einen Moment zu lange gedauert hat“ (Lars Bang Larsen).

Wie in Test, wo das vertraute Soundlogo die Erwartungen an einen nun folgenden Hollywoodstreifen weckt – lösen die Sonnenuntergänge eine ganze Reihe von Bildern und Emotionen aus – die schliesslich nicht befriedigt, sondern ausgeblendet werden: Nach 32 Sekunden verstummt die Musik und das Museum wird wieder zum Museum – das letzte Bild des Sonnenuntergangs hingegen ist bereits Nacht. Das Spiel zwischen Dokumentation und Fiktion treibt Mandla Reuter noch weiter, in dem er den Sonnenuntergang für sein Foto schliesslich selber produziert. At the End of the Day (2008) zeigt einen dunklen Sonnenuntergang – vor einem, bei genauerer Betrachtung etwas seltsamen Bergpanorama. Tatsächlich ist die Landschaft künstlich. Reuter liess den Sonnenuntergang von einer professionellen Fotografen-Crew inszenieren. Hier ist es nicht Hollywood, der Ort, der für den illusiorischen Raum der Fiktion steht, sondern die Produktionsweise der Filmindustrie, die Reuter übernommen hat, um das Klischeebild gleichzeitig zu doppeln und zu brechen.

 

Am Ende ist auch das Hotel Bellagio nur ein Nachbau der Stadt am Comersee. Und da hat die Verschiebung der norditalienischen Landschaft in die Wüste von Las Vegas Ähnlichkeiten mit Reuters Interventionen: Mit dem künstlichen Sonnenuntergang, der trotzdem die Herzen beben lässt oder mit dem Wasserschlauch, in dem das Wasserspektakel verborgen ist.