Galerie Mezzanin

Gott und die Welt

Ein Gespräch zwischen Thomas Bayrle und Friedhelm Mennekes über das schwierige aber fruchtbare Verhältnis von Religion und Kunst

 

Friedhelm Mennekes:

Für viele Künstler ist das Verhältnis von Kunst und Religion etwas Antagonistisches. Was Dich, Thomas Bayrle, angeht, Du bist, was diesen Antagonismus angeht, eher ein Friedensbewegter. Du bist sehr gelassen, sehr souverän und in Deinem Werk sehr anregend. Du beschäftigst Dich vor allem mit den medialen Strukturen der Gesellschaft und mit dem Maschinellen als Produktionsprinzip.

Wie kommt es aber dazu, dass Du dabei religiöse Themen angreifst; etwa bei Deinem ‚Frankfurter Kreuz’?

 

Thomas Bayrle:

Um einen Bezug vom Mittelalter bis heute herzustellen.

Bei dem Christusbild von 1988 ging es mir darum, ein Autobahnsegment Frankfurt-Darmstadt in den Christus selbst einzusetzen. Ich habe dieses Segment genommen, weil das das erste Stück Autobahn in Deutschland war. In jedem Finger des Christus, in jedem Element im Arm, ist dieser Autobahnabschnitt drin. Für mich ist Kunst und Religion  untrennbar, weil, ausgehend von der Realität in den europäischen Klöstern seit tausend Jahren zusammen hängend.

 

FM:

Wie bei Joseph Beuys auch geht es in Deinem Werk weniger allgemein  religiös, dafür vielmehr spezifisch christlich zu. Es geht Dir, scheint mir, nicht so sehr um eine Kommunikationsstruktur zwischen Kunst und Kirche, sondern um das Christliche. Was interessiert Dich an dem christlichen Thema so?

 

TB:

Das sind die Archetypen, die ausgebildet sind. Vor allen Dingen interessiert mich das Programm. Die Malerei war kodiert. Genau wie die Gebete selber, waren auch die Formen und Proportionen der Ikonen kodiert. Es war klar, dass der Kopf eines Menschen zwölf Mal in seine Körperlänge passt, während er in einer Ikone nur acht Mal enthalten ist. Der Blick war genau vorgegeben, die Körperhaltung, die Aufteilung der Körper Christuskind zu Madonna, auch die Farben waren genau kodiert. Und dieser Architekturplan hat mich fasziniert. Da ist also immer die gleiche Form und die wird immer anders gefüllt.

Wie eine Teekanne mit täglich neuem Tee, oder ein Musikstück, welches immer auf’s Neue interpretiert werden muss. So wurde jedes Mal das gleiche  Schema neu gemalt. Eine individuelle Massenproduktion - auch von der Benutzerseite her, wurde sie  täglich immer neu geküsst und neu verehrt.

 

FM:

Das Wesen dieser Kunst ist ja, dass es nicht um vorgegebene Strukturen des handwerklichen geht, sondern auch um Strukturen ihrer Kommunikation. Hier geht es vor allem um die Erziehung einer bestimmten Programmatik, die sich im Bild befindet. Hier wird in den Köpfen durch Bilder eine Weltsicht geprägt. Kulturelle Erziehung als eine Art Vorläufer zur Massenkommunikation, oder kollektiven Kommunikation?

 

TB:

Das ist mir durch Wilhelm Worringer klargeworden, der die Gotik als Kunstform beschrieb, die sich aus übersteigerter Emotion und aus technischer Realisation zusammen setzt. Als Surrogat für einen Mangel, den die Nord Europäer gegenüber Ägyptern und Griechen gefühlt haben.

In Nordfrankreich, in Coutances, wurde der Dom in nur 12 Jahren gebaut, einer sehr kurzen Zeit, gegenüber  dem Bauhütten Modell, mit  dem die  Kathedralen vorher realisiert wurden. Man konnte dieses Tempo nur schaffen, weil sie im Süden die Säulen, im Westen die Fenster und im Norden Rosetten produzierten. Verschiedene Komponenten aus verschiedenen Orten werden zusammen getragen und an einem Ort montiert.

Plötzlich kam also etwas Abstraktes hinzu. Das sehe ich persönlich als Beginn der Massenproduktion. Und das vor 800 Jahren! Und ich sehe es direkt verbunden mit dem Fließband von heute.

 

Excerpt from a conversation between Thomas Bayrle and Friedhelm Mennekes for Artcaleidoscope Magazine.

The full text will be published in Artcaleidoscope Magazine by December 15, 2010.