Die vielfältige und multimediale künstlerische Arbeit Christian Mayers scheint ihre Stärken nicht in der detaillierten Nacherzählung von Geschichte, sondern mitunter aus ihrer spezifischen (Re-)Inszenierung und Kontextualisierung zu beziehen. Er geht hierbei nicht strikt nach historischen Ordnungen vor, spielt den Rationalisierungen von Epochen und hierarchischen Periodisierungen nicht zu. Es gelingt ihm durch Überinszenierung auch scheinbar belangloser Details gezielte Momente der Überprüfung von Geschichte und ihrer Funktionszusammenhänge im Zeitalter schwindender materieller Fassbarkeit zu lancieren.
In einer aktuellen Ausstellung „flotsam and jetsam“ des Künstlers in der Wiener Galerie Mezzanin begegnet man dieser Methodik in schlichter und vollendender Präzision.
Ein Schwarzweiß-Diagramm einer brasilianischen Urwaldansichts-Panoramatapete „Les Vues du Brésil“ (um selbst sein eigenes Urwaldbild hineinzuprojizieren zu können ), ein zur Zeit des Biedermeiers in den Salons verbreitetes, da Exotik und Abenteuer suggerierendes Motiv, weiters acht Exemplare der etwa zur selben Zeit nach Europa importierten und bis heute ungemindert beliebten Zimmerpflanze „Monstera deliciosa“, sechs Aufnahmen, von vor dem Hintergrund einer selben und im Wiener Hofmobiliendepots tatsächlich affichierten Urwaldansichts-Panoramatapete (darauf „edle Wilde“ im Tauschhandel mit europäischen Kolonisatoren) fotografierten Biedermeiermöbelstücke, sowie die Sound-/Diainstallation von „Bibi und Büberl“, zwei, ihren Besitzer Kaiser Franz I. überlebende, anschließend ausgestopfte und im Wiener Hofmobiliendepot in ihrem Käfig ausgestellte Kanarienvögel, zieren die Galerieräume.
So stimmig und penibel das Gezeigte in der Präsentation auch wirkt, so vielfältig und komplex sind die aufgeworfenen Fragen, die damit einhergehen:
Was zeichnet die Differenz zwischen der Kultur des Westens und anderer Kulturen heute noch aus? Sind die Zimmerpflanzen unser vorauseilendes Bekenntnis zu einem Biedermeier, das uns heute als Keim der Moderne verkauft werden will oder eine Reminiszenz an ein ursprüngliches authentisches Biedermeier bzw. einfach nur ein weiteres Sonderangebot bei Ikea?
Wenn die damals voranschreitende Säkularisierung auch die Möbel betraf, bedurfte es damals der Tapete um den Repräsentationsverlust der Möbel und die Reduktion auf ihre Alltagsgegenständlichkeit zu kaschieren beziehungsweise wenn ja, wie passend ist deren Präsentation in Kombination im Hofmobiliendepot jetzt? In einer Zeit, in der Präsidentenvillen ohne Aufsehen verkauft werden, wer würde da ernsthaft Interesse für ausgestopfte Präsidentenkanarienvögel aufbringen? Würde dieselbe Ausstellung in einer vergleichbaren Galerie in Sao Paulo auf ähnliches Interesse stoßen, oder ist das Wiener Publikum eingedenk des Habsburgererbes von Kolonialismus und Rassismus ein sensibilisierteres? Steht dieses einst porträtierte Stück Urwald überhaupt noch? Wenn Natur ohnehin eine kulturelle Konstruktion ist, welche Art Dschungel soll man sich in das Schwarzweiß-Diagramms denken?
Geschichte wird nicht nur gemacht, sie verschwindet auch zusehends und hier scheint Mayers analytisches Interesse und kritisches Denken anzusetzen. Im Wissen, dass in Zeiten kultureller Hybridisierung binäre Unterscheidungskategorien nur schlecht greifen, arbeitet er allgemein mit Aspekten der Durchdringung von visuellen und sprachlichen Zeichen-,Repräsentations- und Kommunikationssystemen. Er behauptet einen künstlerischen Beitrag zur Analyse der Bedingungen von Wahrnehmung und visueller Produktion insgesamt, führt dabei dennoch parallel die Suche nach neuen Ansätzen ästhetischer Erfahrung fort.
Da der Glaube an positivistische Wissenschaftssysteme und die Erfassbarkeit der Welt durch wissenschaftliche Erkenntnisse, technische Fortschritte und historische Brüche der Gesellschaftskonstruktionen kontinuierlich abhanden kam, wurden somit Fragestellungen nach Kriterien von Geschichtswürdigkeit generell, sowie die Überprüfung formaler Erfassungsstrategien zum eigentlichen Arbeitsfeld von KulturproduzentInnen (visuelle KünstlerInnen, VideokünstlerInnen, FilmemacherInnen, AutorInnen).
Wie vieler seiner KollegInnen arbeitet Christian Mayer daher mit Kultur als flexibler Struktur und dynamischem Prozess, die sich bekanntermaßen über die Verdichtung von Machtkämpfen, über Verschiebungen und Umkehrungen politischer, sozialer und ökonomischer Hierarchien und ästhetischer Symbolsysteme ständig neu figuriert unter steter Berücksichtigung, dass die „Bedeutung und die Symbole einer Kultur nicht auf eine vorgängige feste Einheit verweisen, dass dieselben Zeichen angeeignet, übersetzt, rehistorisiert und neugelesen werden können,“1)
Die Schwierigkeit diese Dynamik künstlerisch zu drosseln, der drohenden Verlustigkeit des historischen Kontextes, synchronisch und diachronisch, die aktuelle Breite als auch die geschichtliche Tiefe betreffend, habhaft zu werden und ihre Bedeutungsdimension anhand konkreter Beispiele zu veranschaulichen, meistert Mayers Beitrag „Inventing the twentieth century“ in der Gruppenausstellung „this is happening“ in der Galerie Georg Kargl zu Beginn dieses Jahres.
Im Vorfeld der Ausstellung sich eingehend mit der Geschichte der Galerie auseinandersetzend und von der langjährigen Sammlerleidenschaft des Galeristen Georg Kargl für Bakelitobjekte erfahrend, beschaffte er sich via ebay mittlerweile sehr rares Veloxfotopapier, Fotopapier, welches erstmals mit künstlichem Licht belichtet werden konnte, damit der breiten Nutzung der Dunkelkammerfotografie zum Durchbruch verhalf und die zweite große Erfindung des Bakelitpaten Leo Baekeland Anfang des vergangenen Jahrhunderts darstellt.
Durch das Ausstellen acht dieser faszinierenden Bakelitobjekte aus der Sammlung Kargl und fotografischen Aufnahmen von diesen auf Veloxpapier in der Galerie Kargl, eröffnete Mayer eine seltene Gelegenheit über eminent wichtige Errungenschaften des 20. Jahrhunderts zu staunen und zu sinnieren, zugleich aber deren galoppierende Vergänglichkeit zu demonstrieren und zudem verblüffend leichtfüßig Bögen zu Institutionskritik, Design und Medientheorie zu spannen, als gelte es Walter Benjamins zeitlosen Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ täglich neue Kapitel hinzuzufügen.
Als ein weiteres und risikoreiches Charakteristikum, und in weiterer Folge eine verlässliche Qualität seiner Arbeit scheint mir seine Taktik als abgegrast geltende Gemeinplätze der Moderne wie der Populärkultur solange mit ihrer Vergangenheit und ihren Ur-Bestimmungen zu konfrontieren bis sich daraus wieder schlüssige und bezwingende Arbeiten ergeben sowie im Falle der Installation „Venedig in Wien in Venedig“ aus dem Jahre 2003, in der er Fotos des um 1895 entstandenen Wiener Themenparks „Venedig in Wien“ in Venedig zeigte, so nah am Original das Bauvorhaben war, so naturgemäß und im Sinne des Künstler, unauffällig und ununterscheidbar waren die gezeigten historischen Fotos dann davon in Venedig.
Dieser sublime Gestus des - als ob nichts passiert sei - begegnet uns auch in einer gänzlich anders gelagerten Arbeit des Künstlers:
Das Service des schwedischen Möbelkonzerns Ikea ungeöffnete Ware einen bestimmten Zeitraum retournieren zu können und dabei den vollen Einkaufspreis rückerstattet zu bekommen, nützte Christian Mayer zu materialintensiven skulpturalen Inszenierungen mit original verpackten Ikea-Möbeln auf Kunstmessen und in Galerien, wobei die Ausstellungsdauer dabei immer innerhalb der Rückgabefrist lag, gegen deren Ende er stets sein Geld zurückbekam und er somit nicht ganz dem Idealbild eines IKEA-Kunden entsprach, was seiner Zufriedenheit aber keinen Abbruch tat.
1) Homi K.Bhabha: „the commitment to theory“, in: „The Location of Culture“, 1994
Christian Egger
Parnass Kunstmagazin, Heft 3/2007 (September/Oktober 2007)