Dahingehen, Unterwandern, Überleben
Die Ausstellung "Waiting for the Barbarians" knüpft in ihrer Atmosphäre und der Wahl der Sujets an den gleichnamigen Roman des Nobelpreisträgers J. M. Coetzee an, in dem die Triebfeder des abwartenden Hinausstarrens in die Weite und der leere Horizont zum Leitmotiv werden. Der Roman des südafrikanischen Schriftstellers spielt an einem Nicht-Ort, einem Grenzdistrikt eines nicht näher bestimmten Imperiums, dessen zivilisatorische "Ordnung der Dinge" von der befürchteten Vernichtung durch die Barbaren bedroht wird. Die Landschaft im Roman, zumeist scharfe und knappe Bilder der Ödnis oder Verwüstung, wird oft als Abbild der Seele des Romanprotagonisten, eines Magistrats, in dunkler Vorahnung, dass er sich auf verlorenem Posten befindet, verwendet. Der zwischen Ohnmacht und Macht schwankende Held erscheint wie ein Verirrter auf einem Weg, der vielleicht nirgendwohin führt. Kann diese Bedrohung der Erinnerung zusetzen?
Die Symbolik von J. M. Coetzees Roman liegt vor allem im gesellschaftlichen Umgang mit dem "Ungewissen". Er beschreibt die Angst und Ohnmacht seines Hauptprotagonisten, der versucht, mit den Barbaren, nomadisierenden Stämmen in der Wüste, Kontakt aufzunehmen und letztendlich scheitert. Immer wieder verfällt er in ein Hinausstarren in eine ungewisse, letztendlich feindliche Gegend. Es ist diese Angst einer modernen Gesellschaft, die sich einerseits scheinbar sichere Orte schafft, so genannte Oasen in der Wüste, und andererseits alles versucht, um das Fremde abzuwehren, das a priori mit dem Feind gleichgesetzt wird als wäre das Fremde der Geschichte entzogen.
Aus heutiger Sicht erscheint in diesem Roman der westliche Universalismus als eine zweischneidige Angelegenheit. Werden er und seine wichtigsten Errungenschaften wie die Schlagworte Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit, also die so genannten "demokratischen Grundwerte", die sich global begehrt ausbreiten, unverzerrt überleben? Rührt von daher bei dem Magistrat nicht immer wieder ein Lebensgefühl des Nicht-Dazugehörens, der Selbstnegation und des sozusagen fremd in der eigenen Kultur zu sein? Insbesondere dann, wenn angesichts der Bedrohung von Außen auch bei ihm alles andere als "demokratische Werte" wirksam werden.
Die in der Ausstellung präsentierten KünstlerInnen Michael Höpfner und Marzena Nowak benutzen diesen Moment des Beobachtens und Hinausschauens in die Weite als Emanation eines vorgängig existenziellen Problems der Gegenwart; wobei beide Künstler schon einmal festgestellt haben, dass dieses in die Ferne schauen gleichzeitig ein In-sich-Hineinhorchen auslöst. Diese Verortung hat immer mit sich selbst zu tun und hat in einer Zeit, in der Orte und Räume nicht unbedingt "real" sein müssen, einen anderen Stellenwert bekommen.
Sich eigene Orte zu schaffen, Territorien, die utopischen Landschaften gleichgestellt sind und einen Spielraum für ein anderes Denken, Fühlen und ein anderes Bewusstsein ermöglichen, jenseits der modernen Menschenwelt, liegt beiden künstlerischen Positionen zu Grunde. Ob das im Namen der neuen Aufklärung oder Mystik geschieht, bleibt dahingestellt. Wobei das performative Sichaneignen von Orten einen wesentlichen Schritt innerhalb der visuellen Arbeit darstellt. In den Arbeiten selbst, in der medialen Re-Lektüre der wandlerischen Erinnerung und des Gedächtnisses ist ihre Vorgangsweise, dieses Begreifen und Erfahren mit dem Körper, allerdings nur als Subtext lesbar.
Marzena Nowaks künstlerische Position erinnert an eine anthropologisch anmutende Vorgangsweise, die heideggerische Anthropodizee, indem sie die Spuren der Vergangenheit wie etwa die leidende Seite der Geschichte als die Bahnen der Gegenwart auf dem Basismodell der alten, körperbezogenen Schnittmuster rekonstruiert und aufs Neue in der Gegenwart entwirft. Durch das direkte und gezielte Sticken in die Leinwände und durch Erzeugung ihrer malerischen Illusion, die diese Effekte gekrümmt wie ein Geflecht in die Bildfläche fortsetzt und transferiert, steuert sie auf ein Hinwirken einer tieferen Diagnose hinsichtlich der Moderne zu, in der Riesenschlachten respektive "Materialschlachten" stattgefunden haben. Ihre Bilder mit bezeichnenden Titeln wie "Schädel" oder "Trauerweide" sind von der Geschichte abgeleitete Fiktionen, die Fragen nach unserem Verhältnis zur Tradition und auch nach unserer Vorstellung von Kunst in der zukünftigen Modernität aufwerfen. Michael Höpfner inszeniert dagegen die auf Reisen aufgenommenen Bilder der Nicht-Orte und Raumleere zusammen mit seinen Zeichnungen der urbanen Plätze zu einer subjektiv erlebten Topografieanalyse, um dann die Welt von Null beginnend wahrzunehmen und zu sehen, wie es um die Sache des Seins und des Menschen wirklich steht. Hat es bei ihnen eine Metanoia, ein Umdenken in den letzten Motivschichten gegeben oder stehen sie vor noch umfassenderen Gefahren und Katastrophen der Vernichtung? Gibt es eine unterscheidbare Evidenz zwischen Tätern und Opfern, Demokraten und Totalitaristen, Angreifern und Verteidigern?
Die ersten gemeinsamen Eindrücke beider künstlerischer Ansätze, die dieses Hinausschauen ins Offene kennzeichnet, bilden die Aura der Langsamkeit, der Wiederholung und sogar der Langeweile, die man, wenn man sie zur Kenntnis nimmt und sich auf sie einlässt, nicht so eilig verlassen kann.
Dahingehen
Der Österreicher Michael Höpfner ist ein passionierter Reisender. Auf mehrmonatigen Fußwanderungen erkundet er Berge, Wüsten und Steppenlandschaften in China, Nordindien, Tibet und seit 2003 die Wüstenlandschaften in Nordafrika. Neuerdings macht er Wanderungen in verschiedenen Gebieten der ehemaligen UdSSR, wie der Ukraine oder den zentralasiatischen Staaten.
All diese Territorien betrachtet der Künstler nicht als klassische Sehnsuchtslandschaften, sondern er wählt explizit geografische sowie gesellschaftliche Randzonen, die durch ihre Unwirtlichkeit und Verlassenheit eigene Methoden der Aneignung erfordern. Durch das "Zu-Fuß-unterwegs-Sein" versucht er, sich von vorgefertigten Medienrealitäten und touristischen Stereotypen zu emanzipieren. Die verlangsamte Bewegung des Zu-Fuß-Gehens, eine Pilgerschaft europäischer Prägung (z.B. englischer Traveller), ermöglicht eine normalsichtige Augen-Wahrnehmung von Raum und Zeit, oft betörende Erlebnisse und, was besonders wichtig erscheint, eine Distanz zur eigenen Kultur. In tagebuchähnlichen Reisebüchern und S/W-Fotografien werden diese Erfahrungen und hinzuerworbenen Kenntnisse belegt, wobei sich diese Informationen als trügerisch erweisen: die gezeichneten Karten und Momentaufnahmen der Leere beschwören keinen Ort oder Raumtyp. Die Fotografien belegen einzig das Dokumentieren, ein Sammeln verschiedener Gebiete, aus denen sich der ganz "persönliche Kontinent" des Künstlers zusammensetzt. "Beim Gehen suche ich das Zerbrechliche, unter meinen Füßen zerfällt unmerklich eine Welt", beschreibt Höpfner jene minimalen Veränderungen in der Landschaft, wenngleich man in den dort entstandenen S/W-Fotos eine in Stein gemeißelte Zeitlosigkeit wahrzunehmen vermeint. Seine distanziert kühlen Rauminstallationen beinhalten neben den großformatigen Fotografien und Zeichnungen sowohl seine "persönliche" Behausung in Form der "Bergzelte" als auch immer wieder dazwischen S/W-Diaprojektionen, Notizen und Reisebücher mit Landkarten – zusammengesetzt aus Planskizzen – womit sich seine Arbeiten in die Tradition der Kunst-Kartografie des 20. Jahrhunderts einreihen. (1)
Gerade auf dieser Etappe entsteht aber etwas, was beunruhigt und dem Prinzip der Moderne latent widerstrebt; die malerische Qualität von Höpfners Fotos, die durch die gleichförmige Behandlung der aufgenommenen Oberflächen malerisch monochrom und indifferent anmuten. Die Ausschnitthaftigkeit seiner Monumentalaufnahmen, die kein Ende und keinen Anfang zu haben scheinen, und auch keinen Horizont, die "Weltlosigkeit der Steine" (Heidegger), die er festhält, besagt, dass auch der Ursprung eine imaginäre Konstruktion sei. Durch seine anachronistisch wirkende Allianz mit der Mobilität, die der Epiphanie der totalen Mobilmachung des letzten Jahrhunderts widerspricht – der Künstler fotografiert fast ausschließlich mit einer Hasselblad-Kamera und beschränkt sich auf jenes Equipment, das er selbst tragen kann – hinterfragt er die Sehnsucht nach einer städtisch komfortablen Stabilität sowie den Mythos von permanent neuen Eroberungen und Entdeckungen. Er lässt die erdachten Utopien des menschlichen In-der-Welt-Seins, wie sie sich im 20. Jahrhundert abgespielt haben, hinter sich und reflektiert das "So-Sein und Werden" des Menschen, sein (prekäres) Nomadentum und Umherschweifen in einer unbestimmten, schwebenden Realität als wäre diese in einem planetarischen Kosmos angesiedelt, nahezu ohne Umwelt – sein Verschwinden vorbereitend.
Der Künstler beschreibt den Prozess des Gehens folgendermaßen: "Eigentlich kann ich das Gehen selbst nicht beschreiben, es wäre nicht mehr als eine Illustration dessen, was passiert ist. Was jedoch bleibt, ist die Erinnerung an Orte, an Begebenheiten, an Gedanken. Gehen als eine Möglichkeit, um meine Umwelt wahrzunehmen; Gehen als eine Art Suche in verlassenen, wüstenhaften Regionen dieser Erde, unter klimatischen Umständen, die mich an den Rand der körperlichen Kräfte bringen; Gehen, um dann aus meinen Erinnerungen utopische Landschaften zusammenzusetzen ..."
Unterwandern
Die Warschauer Künstlerin Marzena Nowak erhebt eine spezielle Form des Abfalls zur feinen Kunst. Die Vorlagen ihrer Malerei sind ganz gewöhnliche, heute scheinbar obsolet gewordene Schnittmuster und Designs von Stoffresten. Indem sie diese altmodischen Schnittmuster für ihre Kunst benützt, spielt sie mit der Erinnerung an ihre Kindheit, das Elternhaus und die Arbeit ihrer Mutter als Schneiderin. Ihre im Bereich der sinnlichen Wahrnehmung angesiedelten Bilder und Videos wenden sich dem Wechselspiel zwischen der Eintönigkeit des Alltags und des Aufbegehrens gegen seine immanente Langeweile zu. Die Langeweile verbindet sie mit der Arbeit an der Schärfung des eigenen (Selbst)Bewusstseins; mit der Entdeckung oder Schaffung von etwas "Sinngemäßem" und der Möglichkeit seiner Mitteilung.
Mit Hilfe von Pauspapier überträgt sie ausgewählte Liniengeflechte aus realen Schnittmustern auf Leinwände, die hauchdünn das Zerbrechen sämtlicher, von der Kunstgeschichte als heroisch oder avantgardistisch eingestufter Abstraktionsformen und Strukturen vor Augen führen. Daher gibt es neuerdings statt einer bestimmten formalen Ordnung in ihren Bildern einen Katalog von verschiedenen Kunststilen zu sehen, die den Relativismus jeder ästhetischen Weltanschauung oder Weltkonstruktion bezeugen. Manche ihrer experimental anmutenden Gemälde mögen ein Echo auf die expansive Raum- und Zeiteroberung der russischen Konstruktivisten, die non-relationalen Kompositionen von Wladyslaw Strzeminski oder der italienischen Futuristen erzeugen, andere erinnern an das Formenvokabular der 1960er Jahre oder das systematische und monotone Abmessen des Zeitdaseins, z. B. des polnischen Konzeptualisten Roman Opalka. Nowak arbeitet kontinuierlich an einem Bild, das durch das alltägliche Wiederholen der schnittigen Linien oder nur durch das Aufzeichen von losen Zahlen und Zeichen als ein Weg in die Unendlichkeit erscheint. Einer der Unterschiede zum Radikalismus der Vorgänger liegt aber darin, dass die Methode, mit der die junge Künstlerin arbeitet, das Zufällige, das Alltägliche und damit auch das Hybride der Körper nicht eliminiert oder allegorisch spiritualisiert, sondern in der Abwechslung zwischen Formaufbau und Formzersetzung sowohl auf ironisch-satirische als auch auf poetische Weise als Dekonstruktionen des Ethos der (Neo)Moderne zum Vorschein bringt. Das reale Leben wird bei ihr zum Schnittpunkt und das Schnittmuster zur abstrakten Chiffre im schwebenden Leerraum der "gegenstandslosen" Suche nach Sinn oder Halt wie in einem mysteriösen (Alb)Traum. Das ständige Sichvergewissern seiner Selbst wird zum unerreichten Ziel. Das Verhältnis von Bildoberfläche und Bildraum muss daher stets wieder von neuem ausgemessen werden. Anstatt einer absoluten Identifikation der Künstlerin mit ihrer materiellen Arbeit tritt das mentale Hin und Her zwischen Ich und Ich, Fiktion und Wirklichkeit, Erwachsenwerden und Kind auf. Der monotone Zustand des ewigen Frühlings eines zukunftsorientierten Paradieses wird durch eine quirlige Fantasmagorie des unstillosen (kapitalistischen) Begehrens durcheinander gebracht.
"Weil die Welt hundert Millionen Mal zu üppig ist", schrieb Witold Gombrowicz im seinen Roman "Kosmos", "kann man die eigene Aufmerksamkeit auf nichts mehr lenken."(2)
Die flachen und raumlosen Schnittmuster der abwesenden Körper werden in Nowaks Arbeiten im Prozess der manuellen Übertragung von einem Punkt zum nächsten auf eine Leinwand oder auf ein Blatt Papier zu gekrümmten Linien in flimmernden Mikro- und Makroräumen generiert. Sie wirken nicht bloß konstruiert, sondern durchdacht und gefühlt. Durch die Nähe zum Kartografischen täuschen ihre Re/Konstruktionen des Alltäglichen einen dokumentarischen Charakter vor, den sie aus der Nähe restlos entbehren. Die Erlebnisberichte oder Erinnerungsstücke, die ihre Bildfindungen und Bildkompositionen auf der Oberfläche komprimieren und manchmal auch scheinbar dekorativ aussehen lassen, stellen eine Art des philosophischen Denkens in Bewegung oder in einer Schwebeform dar, es sind poetische Beschwörungen, flüchtig und "wandlerisch", einmal von Luftigkeit und Leichtigkeit, ein anderes Mal von Dichte und nahezu totemistischer Würde geprägt. Der kartografierte Raum fließt in eine mäandernde Archäologie der Meta-Empfindungen und Laune-Elemente, die psychologisch die Matrix für eine Depression oder für eine von kleinen Hoffnungen illuminierte Niedergeschlagenheit ergeben kann. Sie beschreiben den Körper als Milieu-Wechsler oder Übersetzer. Das langwierige Warten auf die Zukunft evoziert das Vergangene und die Einbettung in die Gegenwart.
Als Vorlagen für die in der Ausstellung präsentierten "Teller"-Bilder dienen der Künstlerin diverse sie umgebende Alltagsgegenstände wie Teller, Kaffee-Untertassen oder Gläser, die sie von oben betrachtet und in Originalgröße auf der Leinwand nachzeichnet. So entstehen unterschiedliche Scheibenflächen, die sie mit Farben zusätzlich ausdifferenziert. Der Hinweis für diese Bildercodierung ergibt sich aus dem geloopten Video, dessen Motiv ein sich im Kreis drehender, mit bunten, volkstümlichen Blumenmustern bemalter Teller ist. Die Bewegung des Drehens, die Trance des Monotonen führt zur Auflösung seiner formalen Besonderheiten in der Erinnerung und in Folge zur Erscheinung seiner anderen gestalterischen Identität. Die Installation wird ergänzt durch eine kleine gerahmte Farbfotografie, welche die Künstlerin selbst in ihrer Wohnung zeigt, den gleichen Teller mit dem Finger drehend. In dieser mehrere Kunstmedien als Schnittstellen umfassenden konzeptionellen Bewusstseinskette sind Nowaks gemalte Bilder das augenscheinliche Ergebnis ihres introvertierten Hineinstarrens (statt des Weitblicks von Michael Höpfner), eine Bewusstseinswandlung und gleichsam auch der Versuch einer neuen künstlerischen Erschaffung, aus der weniger vertrauten Perspektive des Schwebezustandes und der Kommunikation mit den BetrachterInnen.
Überleben
Die Kunst von Höpfner und Nowak vermittelt den Eindruck, dass die Materie der Wahrnehmung keine physische Substanz ist und dass sie wandlungsfähige skripturale Züge trägt. Die Menschen sind nicht bloß mono-elementare Wesen, sondern es kommt "die Bewegtheit der Menschen phylogenetisch wie ontogenetisch von der Dynamik des Elementwechsels". Peter Sloterdijk meint, dass die Menschen "ontologische Amphibien" sind. "Sie sind niemals nur Bodenbewohner, auch nachdem sie den Exodus vom Wald in die Steppe vollzogen hatten, sondern behalten immer einen Bezug zu anderen Milieus – zur Luft ... zum Wasser."(3)
Beide KünstlerInnen verbindet die langwierige Erfahrung des Lesens und des Aufzeichnens der Schichten und Ablagerungen im Habitus der Kulturen, die "eine gewisse Leichtigkeit und ein Elan" gegenüber dem Inneren und dem Äußeren bzw. eine Kombination von beiden zu Vorschein bringt, wie Virginia Woolf sich über ihr Prosakonzept ("A room of one's own" / "Własny pokój") geäußert hat. Marzena Nowak spricht diesbezüglich von ihrem "Kosmos", Michael Höpfner von "seinem eigenen Kontinent".
Höpfner und Nowak arbeiten an der Wahrnehmung, Transformation und Sublimierung der Raum- und Zeitvorstellung; enthüllend, in der Zeit der coolen, dem ökonomischen Wachstum alles einebnenden Globalisierung, wobei jeder von sich aus eine eigene subjektive Perspektive und eine eigene performative Körpererfahrung in die Kunstwerke mit einbringt. In beiden Fällen künstlerischer Praxis erstreckt sich der Zeitvektor durch monotones Abschreiten der jeweiligen Territorien. Die Bewegungsrituale lösen hier Prozesse der Kontemplation oder Spekulation aus. Michael Höpfner setzt die männlich konnotierte Tradition des Gehens als "Befreiung durch Begehen" fort und lotet die ortlose/randlose Raumleere in der realen Welt aus. Marzena Nowak nimmt eine Art rationale Rasterkonstruktion als Orientierungswissen für ihre imaginären Wanderungen durch die leeren, weißen, scheinbar unbeschriebenen Leinwandflächen. Die durchorganisierten Pfad- und Liniengeflechte der körperbezogenen Schnittmuster, die man mit dem weiblichen Körpergefühl und seiner Weltaneignung traditionell assoziiert, standen zum nomadischen Lebensstil herkömmlich im Widerspruch.
Die Rauheit des geografischen "So-Seins und Werdens" in den Landschaften von Michael Höpfner begleitet die Introvertiertheit der fast in geometrischen Formen gespeicherten Stimmungsräume der unterschiedlichen Lebenszyklen in den Arbeiten von Marzena Nowak. Erst durch die Partizipation des Betrachters – hier und dort – durch augenscheinliches Abtasten der zarten linearen Oberflächen der Bilder oder Eintauchen in die physikalisch transparenten Atmo-Hüllen der Zelte entsteht ein verräumlichtes Verständnis des Ganzen und seiner indifferenten Grenzen.
Luft, Atmosphäre, Transkulturalität, Kunst und das Leben werden im Schaffen beider KünstlerInnen ausgearbeitet und in Stellung gebracht, um unter Wirkung dieser Komponenten die Daten und Deutungen der alten "Lebenswelten" in der Erinnerung und im Gedächtnis als Wanderungen des im Vakuum möglichen in unsere Auffassung eintreten zu lassen und sie als Orte des Überlebens ohne jeweilige Umwelt (z.B. wie in kosmischen Sphären) zu explizieren.
Goschka Gawlik,
Wien, April 2007
1. Susanne Jäger, Orte im Nirgendwo, in Spike 02/Dezember 2004, S. 58-66
2. Witold Gombrowicz, Kosmos, Krakau 1987, S. 6
3. Peter Sloterdijk, Sphären III, Schäume, Frankfurt am Main, Band III, 2004, S. 340