Galerie Mezzanin

Weltsichten

(Yasmin Afschar )

 

Gälte es eine Zeitlichkeit in Maureen Kaegis Arbeiten zu definieren, liesse sich diese anhand des „Augenblicks“ strukturieren. Jener kurze Moment, der sich abertausende Male wiederholend zu unserem Sehen kumuliert, um sich aber auch ab und an aus dem Strom der Eindrücke zu lösen und sich als extrahiertes Wirklichkeitsfragment in unser aktives Bewusstsein zu drängen. Selten wissen wir, warum uns ein Anblick inne halten liess, und doch greift das ikonische Gedächtnis meist auf jene Erinnerungsbilder zurück, die aus der Fülle der alltäglichen Wahrnehmungen aus welchen Gründen auch immer herausstachen.

 

Wie ein Display solcher ephemerer Erinnerungsbilder funktionieren Maureen Kaegis installative Arrangements, in denen sie Fotografie, Zeichnung, Malerei und Video in ein wechselseitiges Beziehungsgeflecht setzt. Die in diesen unterschiedlichen Medien verarbeiteten Wirklichkeitsausschnitte fügen sich dabei zu transitorischen Wahrnehmungsräumen, deren besondere Qualität darin liegt, jenen oben beschriebenen, ungemein flüchtigen Augenblicken eine andere zeitliche Dimension zu verleihen, nämlich die der Kontemplation.

 

Nicht zuletzt ist diese Verschiebung in Maureen Kaegis Umgang mit den unterschiedlichen Techniken zu verorten. Das Springen zwischen den Medien ist in der zeitgenössischen Kunstproduktion ein gerade bei jungen Künstlern vielfach zu beobachtendes Phänomen. Ihnen geht es im Unterschied zu einer älteren Künstlergeneration nicht mehr um die Analyse und intensive Auseinandersetzung mit den angewendeten Techniken, die infolge der wiederum nur wenige Jahrzehnte zurückliegenden, fundamentalen Erweiterung des Kunstbegriffes bis vor kurzem unumgänglich schien. Die Arbeiten vieler jüngeren Künstler hingegen zeichnen sich durch ihren unvoreingenommenen und spielerischen Umgang mit den unterschiedlichsten Medien aus – selbstsicher bedient man sich der Genres, gerade so wie es Motiv oder Thema verlangen.

 

Bei Maureen Kaegi sind es die einzufangenden Alltagsmomente und deren Eigenheiten, die ausschlaggebend sind für die Wahl des Mediums. Der Fokus liegt dabei auf den „Bildern“, die die unterschiedlichen Techniken produzieren; Bilder, die sowohl als Verweise zum Realen funktionieren sollen als auch als Bausteine illusionistischer Parallelwelten. Im Ausloten der unterschiedlichen Raum-Zeit Gefüge von Malerei, Fotografie, Zeichnung und Video wird Maureen Kaegi diesem doppelten Anspruch gerecht. Die Malerei etwa, ein Zeitspeicher sui generis, trifft auf die Fotografie als vermeintlich sachliche Wiedergabe der Realität. Das gemalte Bild kumuliert unzählige Ereignisse der Vergangenheit – ob zwischen den Pinselstrichen Sekunden oder Jahre liegen, müssen wir nicht wissen, sehr wohl aber, dass jenes Bild, das wir als Ganzheit wahrnehmen, manchmal viele, manchmal wenige Zwischenstadien durchlaufen hat. Es folgt also anderen temporalen Prinzipien als die Fotografie, die einen Ausschnitt der Wirklichkeit genau jenes Moments wiedergibt, in dem der Auslöser gedrückt wurde. Kaegis grossformatige Papierarbeiten schliesslich machen aus ihrer zeitintensiven Entstehungsgeschichte keinen Hehl. Wo sich Bleistiftstrich an Bleistiftstrich reiht, wird die Werkgenese der aus der zigfachen Wiederholung semi-abstrakter Strukturen entstehenden Zeichnungen geradezu messbar. Für das Video, einem weiteren, häufig zum Einsatz kommenden Medium, ist die Dauer ein elementar sinnstiftendes Moment. Mit den für jede Arbeit eigens entwickelten Präsentationsformen, wie Projektionen auf den Boden oder als „Bild“ verkleidete Bildschirme an der Wand, unterläuft Kaegi jedoch die ausgeprägt narrative, auf eine bestimmte Dauer angelegte zeitliche Struktur der Technik und legt den Fokus auf das Bewegte im Bild. Die Arbeit „Laubblatt, 2010“ – ein mit einer Handykamera aufgenommenes Blättchen, das sich an einem Spinnfaden hängend im Wind bewegt - behandelt demnach weniger die Geschichte vom Laubblatt im Wind, als dass sie in Hinblick auf das aus der Malereitheorie bekannte Epistem des Fensters als Öffnung funktioniert; als Ausblick in einen illusionistischen Wahrnehmungsraum.

 

Maureen Kaegis subversiver Umgang mit den zeittechnischen Eigenheiten der von ihr verwendeten Medien trägt zu einer Verdichtung der Perspektiven bei; einer Vielschichtigkeit, die immer auch brüchig bleibt und uneindeutig – Annäherungen, Andeutungen. All dies resultiert im oben beschriebenen Moment der Kontemplation. Die indexikalische Qualität von Fotografie und Video wird genauso unterlaufen wie durch Wiederholung die Authentizität der Mal- und Zeichengeste hinterfragt wird. Konkretes - der uns umgebenden Welt entnommen - wird abstrahiert und verfremdet. Die Aufnahme eines Laptopbildschirmes (Ohne Titel, 2010) gibt sich höchstens durch den Cursor inmitten einer Pixellandschaft als Solche zu erkennen. Umso mehr überrascht, wie verwandt das doppelt abstrahierte Bildmotiv den in Öl auf Aluminium gemalten Wolkenbildern ist. Die grau-weissen, pastos aufgetragenen Strukturen formieren sich zu Gebilden, die es über das Stadium einer Andeutung eines Himmels nicht hinausschaffen; genauso vage bleiben die sich zu „Nachthimmel“ aufbauenden Aneinanderreihungen von Bleistiftstrichen in der gleichnamigen Zeichnungsserie.

 

Kaegis Arbeiten bewegen sich in Räumen des Übergangs, zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen Realität und Fiktion. Die durch sie berührten Oberflächen der Wirklichkeit werden durch ihre bildliche Erfassung durchlässig. Sie legen den Blick frei auf eine dem Bilderkosmos Maureen Kaegis ganz eigene Quasi-Realität. Zwar entstammen die Motive ihrer Arbeiten meist banalen Alltagssituationen - eine flackernde Glühbirne, ein Computerbildschirm oder ein grauer Novemberhimmel zeichnen sich beileibe nicht durch ihren ästhetischen Seltenheitswert aus – in der Übersetzung in das für sie bestimmte Medium durchlaufen die Motive jedoch einen Prozess der Ent- und Verfremdung, der ihren Bezug zur Wirklichkeit relativ macht. Die Arbeiten bewegen sich dann in einer Art Parallelwelt, die unseren Alltag auf ihre selten beachteten, subtilen, manchmal auch kuriosen Ausformungen hin untersucht. Bezeichnend ist wiederum das Ausschnitthafte und Fragmentarische dieser Arbeiten, das sie häufig im Status einer Andeutung hinterlässt. So dient die Wiederholung einiger Motive mit entsprechender Numerierung im Titel (Berg 1, Berg 2, Berg 3) nicht dem Zwecke der bildtechnischen Erfassung der uns umgebenden Welt, sondern der Annäherung daran, was das Motiv uns hinsichtlich jenes ganz besonderen Augenblicks verraten kann.

 

Maureen Kaegis Praxis als eine der Entschleunigung und Beruhigung - die sanfte Annäherung an ein Etwas, das sie in ihren Arbeiten zu artikulieren sucht, das jedoch so unstet ist, dass es sich immer wieder entzieht, flüchtig und nicht fassbar. Maureen Kaegi umkreist es, nähert und entfernt sich, bleibt dran.