Galerie Mezzanin

Maureen Kaegi — Das Grosse Rauschen

(Yasmin Afschar, 2016)

 

«I doubt you share my sensitivity», lässt Maureen Kaegi ihr Publikum in der Kunsthalle Winterthur wissen und verweist mit Augenzwinkern auf ihr feines Gespür für Oberflächen. Die Künstlerin beschäftigt sich mit unterschiedlichen Komponenten unserer Wahrnehmung und referiert mit flirrenden Oberflächen auf das Bilderflimmern der digitalen Welt.


Das Wissen der Welt in Bild und Text zu jeder Zeit an jedem Ort verfügbar – das ist unsere Datengesellschaft. Deren visuelle Dimension führt uns jede Google-Bildersuche vor Augen: eine schier unerschöpfliche Zahl von Resultaten, ein nie versiegender Datenstrom des Internets, das grosse Rauschen der Bilder. Dass davon auch das Bildermachen nicht unberührt bleibt, scheint naheliegend. Hier setzt Maureen Kaegi mit ihrer Arbeit an. Die Künstlerin, die sich mit bemerkenswerter Kontinuität dem Sichtbarmachen von Sehweisen verschrieben hat, nimmt in ihren aktuellen Arbeiten die Wahrnehmungsmodi des Digital Space ins Visier. Dies jedoch nicht unter Etiketten wie New Media oder Post-Digital, sondern – was auf den ersten Blick überraschen mag – ganz «klassisch» mittels Malerei, Zeichnung, Fotografie, Video, Installation und Performance. Sie ziele auf «eine mediale Überforderung», sagt die Künstlerin. «Ich untersuche Arbeitsweisen und Produktionsprozesse, welche die Medien in kritischer Distanz zu sich selbst und ihrer konzeptuellen Bedingtheit treten lassen.»

 

Einer Standortbestimmung gleich fragt Kaegi nach den Möglichkeiten, die das bildschaffende Handwerk im digitalen Zeitalter hat. Was bedeutet es, heute zu zeichnen, wenn dieselben Lineaturen auch mit drei, vier Mausklicks generiert werden können? Was heisst es, live auf einer Bühne zu performen, wenn das Publikum auch mit einer Handyaufnahme auf YouTube erreicht wird? Wie und was kann ich noch fotografieren, wenn die Grenzen der digitalen Bildmanipulation unendlich scheinen?


Horizontale Wahrnehmung


Daraus entstehen beispielsweise Malereien, die den Eindruck von Photoshop-Spielereien erwecken. Erst beim genauen Hinsehen erkennen wir bei der titellosen Papierarbeit, ‹o. T.›, 2012, dass sich die flirrende Ornamentstruktur aus feinsäuberlich abgeklebten und mit Ölfarbe bemalten Segmenten zusammensetzt. Den einzelnen Dreiecksformen indessen sind Farbverläufe eingeschrieben, wie sie sich in pastos aufgetragener Ölfarbe besonders gut erzeugen lassen. In einem genuin malerischen Entstehungsprozess erwirkt Kaegi eine digitale Ästhetik – eine kaleidoskopische Bildfläche, die jene «horizontale Wahrnehmung» hervorruft, von der auch unser auf Bilderflut getrimmtes Sehen bestimmt ist.


Fast immer stellt Kaegi ihre Arbeiten in Gruppen aus, in denen sie unterschiedliche Techniken und Bildmuster kombiniert und gezielt inszeniert. Die einzelnen Werke wiederum entstehen häufig in Serien, in denen Wiederholung, Routine und Zufall eine wichtige Rolle spielen. So kombiniert sie in ihrem Beitrag an der letzten Dezember-Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur vier auf den ersten Blick ungleich wirkende Bildmotive und lenkt so die Aufmerksamkeit weg vom Einzelwerk hin zum Wechselverhältnis zwischen den Medien und deren Bildwirkung. In Öl auf Papier und in Weiss- und Hellblautönen gehalten folgt die erste Arbeit, ‹o. T.›, 2013, dem oben beschriebenen Prinzip der aneinandergesetzten Dreiecke. Die zweite hingegen überrascht als Fotografie, ‹o. T.›, 2012. Dem C-Print geht ein mit Streulicht belichtetes Negativ voraus, das so stark vergrössert wurde, dass das Korn des analogen Films zum Vorschein tritt. Zugleich wirkt die flimmernde Fläche wie das Bildrauschen bei digitalen Medien.

 

Assoziationen zur Natur

 

Das dritte Blatt ‹o. T.›, 2014, weckt Assoziationen zur Natur. Der Blick in ein Blattwerk vielleicht, ein Sternenhimmel, Wolken oder auch eine mikroskopische Aufnahme. Thomas Ruffs Sterne-Bilder aus den späten Achtzigerjahren kommen einem in den Sinn. Die Serie hier entsteht aber Bleistiftstrich an Bleistiftstrich in einem langsamen Produktionszyklus. So auch die vierte Arbeit, ‹o. T.›, 2015. Hier werden in minutiöser Feinarbeit Filzstiftlinien in den RGB-Grundfarben – rot, grün und blau – übers Papier geführt. Dabei erzeugen sie durch Berührungen und Überlappungen einen Moiré-Effekt à la Op-Art. Mit dieser Farbstruktur, die sich aus der zigfachen Wiederholung der immer gleichen Geste zusammensetzt, will die Künstlerin auf die «Dynamiken von Digitalität» aufmerksam machen und setzt im selben Atemzug die eigene zeitintensive Werkgenese in Kontrast dazu.

 

Was interessiert Kaegi an dieser Fleissarbeit? «Diese Arbeiten entstanden durch die Schwierigkeit, wenigstens zeitlich beschränkt an etwas zu glauben, um so in das eigene Tun komplett eintauchen zu können. Das Repetitive sehe ich nicht als geisttötend und mechanisch an, denn während der Entwicklung einer Fertigkeit ändern sich immer wieder die Gegenstände der Wiederholung.» Die gleichsam maschinelle Verinnerlichung der Abläufe erlaubt es der Künstlerin, eine beobachtende Haltung in Bezug auf die eigene Arbeit einzunehmen. Fehler, kleine Abweichungen und Zufälliges werden nicht nur toleriert, sondern offenherzig in den Werkprozess aufgenommen.

 

Raum und Bewegung

 

Auch in Kaegis tanzbasierten Performances sind die Verinnerlichung von Bewegungen, Wiederholung, aber auch Fehler von Bedeutung. Ausgehend von Bildmotiven und eigenen Bildthemen generiert sie zusammen mit Tänzer/innen Bewegungsmuster, die aufgezeichnet und zu einer losen Choreografie arrangiert werden. Diese führen die Tänzer/innen auf und nehmen dabei, wie in Kaegis Einzelschau in der Kunsthalle Winterthur, Bezug auf ein bestimmtes räumliches Setting. Mit ihren Bewegungen aktivieren sie die installativen Elemente in der Ausstellung, wie die Spiegelfläche in der Ecke, den Teppich oder die neonfarben bemalte Trennwand. Sie schlagen aber auch den Bogen zu den Zeichnungen und Fotografien, die den Ausgangspunkt der Bewegungsrecherchen bilden und hier als eine Art räumliche Partitur das Geschehen rahmen. Bezeichnend ist, dass Kaegis Performances ohne eindeutigen Anfang und Ende auskommen. An der Vernissage der Ausstellung ‹Still Life without a Magnolia›, 2014, im Projektraum der Galerie Mark Müller, beginnen die Tänzerinnen ihre Darbietungen fast unbemerkt vom Publikum. Wie ein Flackern lösen sich ihre kurzen Bewegungssequenzen aus der Summe der stehenden und sprechenden Gäste, um sich ebenso bald wieder zu verflüchtigen. Ähnlich den flimmernden Oberflächen ihrer
Zeichnungen, Malereien und Fotografien entziehen sich auch die performativen Arbeiten der fokussierten Wahrnehmung. Zwischen Nähe und Distanz, Ahnung und Überlegung sowie wechselnden Perspektiven sind die Betrachtenden vor allem dazu angehalten, aufmerksam zu sein.

 

Yasmin Afschar ist Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Aargauer Kunsthaus Aarau.