Die Kunst von Peter Kogler liegt in der Erschaffung von architektonischen Zwischenwelten; dies gilt für seine Gestaltungen von Innenräumen wie Außenwänden und ganz speziell auch für Gebäudebereiche, wo das Außen mit dem Innen visuell verbunden wird, wie bei transparenten Glasfassaden. Diese architektonischen Zwischenwelten sind gleichermaßen real und fiktional: In ihrer ambivalenten tektonischen Struktur, die die Gegebenheiten des Raumes oder Gebäudes aufnimmt und zugleich außer Kraft zu setzen scheint, werden sie zu allegorischen Orten, deren Vielschichtigkeit zuerst einmal durch ihre scheinbar leichte Lesbarkeit überdeckt wird. Es sind Orte, die, wie Kogler selbst feststellt, »emotional aufgeladen werden«.
Die eigentliche Dimension seines Werks erschließt sich jedoch erst, wenn die Betrachtung seiner Arbeiten mit Fragen der Urbanität, der Architektur, der Medien und der visuellen Raumerfahrung verbunden wird, und wenn auf der emotionalen Ebene die zwiespältigen Gefühle zwischen Faszination und aggressiv besetzter Angst erfahren werden, die Koglers Räume auslösen können.
Die expressionistischen Filme, die Kogler beeinflusst haben, sind das Kabinett des Dr. Caligari (1919) von Robert Wiene und Metropolis (1928) von Fritz Lang. Im Kabinett des Dr. Caligari erzeugen die aus Leinwand bestehenden Filmbauten mit ihrer kubistisch verzerrten Perspektive und ihren extrem stilisierten Schwarzweiß-Kontrasten eine Atmosphäre der Bedrohung.(1) In seinen digital konstruierten Innenraumszenarien wie zum Beispiel in der Wiener Secession (1996) oder im Kunsthaus Bregenz (2000) entwirft Kogler eine postmoderne Version dieser Räume.
Koglers Interesse an expressionistischen Filmbauten artikulierte sich sehr früh. Seine mit schwarzer Kohle bemalten Kartonobjekte aus den frühen 1980er Jahren changieren zwischen menschlichen und architektonisch-geometrischen Körpern und strahlen eine expressive, maskenhaft bedrohliche und zugleich naive Archaik aus. Sie bilden die Gegenstücke zu Koglers frühesten am Computer entworfenen Motiven.(2) Im Lauf der späten 1980er Jahre entwickelte Kogler sein Repertoire von symbolisch hoch besetzten Bildmotiven, die seine Arbeit bis heute bestimmen: die Röhre, das Gehirn und die Ameise. Zugleich entwickelte der Künstler die seriellen Rapporte, die er digital generiert, in verschiedenen Anordnungen kombiniert und mittels Siebdruck auf Papier drucken lässt, um damit Wandflächen oder ganze Räume – auch solche, die eigens für seine Arbeiten gebaut werden – zu überziehen. Der technoide Ansatz, der in den Bildmotiven, ihrer seriellen Anordnung und der elektronischen Methode ihrer Herstellung zum Tragen kommt, knüpft an Konzepte des expressionistischen Films an. In Metropolis zum Beispiel wird die »Geometrie der Massen« (Lotte H. Eisner) einerseits durch die maschinenartig dynamisierten Menschenmassen gebildet, andererseits durch die Architekturbauten der Stadt, durch die Fritz Lang die Menschengruppen dirigiert: Treppen, Plätze, Fassaden von kubischen Mietskasernen in der Arbeiter-Unterstadt und Wolkenkratzerblöcke in der Oberstadt, in deren Mitte Fabriksirenen aufragen, eine pyramidenartige Formation von massiven Rohren.(3)
Die filmischen Inszenierungen der Großstadt der frühen Moderne und die von Kogler geschaffenen Räume sind in der historischen Differenzierung aufschlussreich. Die Bauten der expressionistischen Filme bedienen sich der formalen Errungenschaften der modernen Malerei und Architektur, um diese zugleich durch das Medium Film zu transformieren. Regie-, Kamera- und Lichttechnik erlauben es, den oftmals mit geringen Mitteln konstruierten Kulissen und Modellen den Anschein einer realen und zugleich fantastischen Stadt zu verleihen. Die Symbolik für den »Moloch« der modernen Stadt, nämlich Bewegung und Dynamik, die sich vor dem Hintergrund des sozialen Elends und der radikalen strukturellen Verwerfungen in der Gesellschaft mit Angst und Schrecken verknüpfen,(4) wird über ein formales Vokabular erzeugt, das sich in hohem Maße der Abstraktion, der Grafik, der Hell-Dunkel-Kontrastierung bedient. Man könnte sagen, dass mit der Abstraktion in Kombination mit der Filmtechnik Aspekte der modernen virtuellen Raumkonzepte antizipiert wurden. Zugleich ist in diesen Filmarchitekturen die Erweiterung der Malerei in den Raum, die sich ab den 1940er Jahren entwickelte, bereits angelegt.
Wenn Peter Kogler in den 1980er Jahren beginnt, die Malerei mit digitalen Techniken in den Raum auszudehnen, tut er dies sehr präzise und innovativ. Dabei steht er in einer Tradition, die das Kunstwerk bereits seit einigen Dekaden – in der Aktionskunst, der Pop Art, der Minimal Art oder der konzeptuellen und medialen Kunst – in einen performativen Schauplatz verwandelt hat. Die Folge war, dass das Publikum hierbei selbst zum Protagonisten wurde. Kogler bedient sich bei seinen Rauminszenierungen malerisch-grafischer Mittel, deren durchschlagender Effekt darauf beruht, dass er seine zeichenhaften Grundmodule mittels Computer in Verläufen oder Verkettungen wie auch in den Dimensionen variieren kann und diese, den Vorgängen im Animationsfilm vergleichbar, dynamisiert. Vorrangig ist bei Kogler, dass er mit seinen Konstruktionen und Oberflächen den Raum selbst in Bewegung versetzt; der Einsatz von Videoprojektionen und Computeranimationen, also bewegter Bilder, ist erst ein zweiter Schritt, den er später vollzieht. Koglers Räume können sich virtuell ausdehnen oder schrumpfen. Sie suggerieren die unendliche Transformierbarkeit nicht nur der Form, sondern auch des Materials. Die Kräfte, die diese Transformationen in Gang setzen, geben ihr Prinzip nicht preis. Innen- und Außenwelten scheinen ineinander zu greifen oder sich umzustülpen.
Kogler versetzt das Publikum in einen ambivalenten Zustand, da es im Versuch, sich in seinen Räumen zu verorten – anders als im illusionistischen Kino, das strukturell zwischen Zuschauern und Leinwand unterscheidet –, ständig zwischen realer Architektur und Scheinarchitektur hin und her gerissen wird. In der Verschränkung zwischen der real gebauten, materiellen und der bildlichen, immateriellen Architektur, die nach gänzlich unterschiedlichen, oft statisch gegensätzlichen Prinzipien konstruiert sind, leitet Kogler das Rationale unmittelbar über in das Fantastische und umgekehrt – eine schizophrene Situation, die von Faszination und Unbehagen zugleich begleitet wird. Psychologisch bedeutet dies, dass der Betrachter die Spaltung verinnerlichen muss. Beide Welten, die virtuelle und die reale, müssen anerkannt und ausgehalten werden.
Kogler evoziert mit seiner Kunst ein Spannungsfeld, das seine Referenzen in der gegenwärtigen ideogrammatischen Zeichenwelt hat, welche die visuelle Oberfläche des World Wide Web charakterisiert. Die hier implizierte endlose Transformierbarkeit und Virtualisierung der Zeichen, Bilder und Räume verweisen auf die völlige digitale Durchdringung von öffentlichen und privaten Räumen und die damit verbundene zunehmende Verschmelzung dieser Bereiche. Koglers Arbeiten handeln im weitesten Sinn von jenen aktuellen Formen von Urbanität, die sich in der »Doppelexistenz von ›Baukörpern‹ und ›Informationskörpern‹ von wahrnehmbaren, aber besiegten Städten und nicht wahrnehmbaren, aber siegreichen Nicht-Städten«(5) manifestiert.
Wenn die von schwarzweißer Licht- und Schattenrhythmik geprägten Stadtfantasien des expressionistischen Films einen Ausdruck für die »moderne Angst« (Nan Ellin) darstellen, die mit der Herausbildung der modernen Industrie- und Verkehrsstadt entstanden war, so verweisen die gemorphten Architekturen von Kogler auf die »postmoderne Angst«, die Ellin im Zusammenhang mit dem »postmodernen Urbanismus« ausmacht. Mit Verweis auf Michel Foucault hebt sie hervor, dass die Formen der Machtausübung zunehmend verschleiert werden und daher auch jeglichen Widerstand immer schwieriger machen: »Whereas the plaza – or place (in French) – was the quintessential public space until the nineteenth century, today’s place-lessness renders the exercise of power more elusive. It is everywhere and nowhere, assumed ubiquitous, or alternatively, assumed absent.«(6) Unterhaltungsangebote im so genannten öffentlichen Raum bei gleichzeitiger Überwachung und internalisierte Selbstdisziplin bedingen einander. Peter Kogler verdichtet in seinen Arbeiten das Faszinosum und die machtvolle Kehrseite dieser medialen wie realen zeitgenössischen Erfahrung von urbanen Räumen, und es gelingt ihm, sie uns in ihrer Doppelbödigkeit vorzuführen.
1 Lotte H. Eisner: Die dämonische Leinwand (1955), Frankfurt am Main 1980. Die Gestalter für die Bauten und Bilder in Das Kabinett des Dr. Caligari sind die Filmarchitekten Hermann Warm und Walter Röhrig sowie der Maler Walter Reimann. Der Hinweis auf das Buch stammt von Peter Kogler.
2 Peter Kogler, Ausst.-Kat. Galerie Krinzinger, Innsbruck, 1985.
3 Eisner 1980 (Anm. 1), S. 225.
4 Nan Ellin (Hrsg.): Architecture of Fear, New York 1997, S. 19 ff.
5 Martin Pawley: »Auf dem Weg zur digitalen Desurbanisierung«, in: Christa Maar und Florian Rötzer (Hrsg.): Virtual Cities. Die Neuerfindung der Stadt im Zeichen der globalen Vernetzung, Basel u. a. 1997, S. 28.
6 Nan Ellin: Postmodern Urbanism, New York 1996, S. 170 ff. Der Titel dieses Texts ist eine Anleihe bei Nan Ellin, die in dem Kapitel »Themes of Postmodern Urbanism« folgende Zwischentitel einfügt: »Form Follows Fiction«, »Form Follows Fear«, »Form Follows Finesse«, »Form Follows Finance«, S. 156–182.