Du bist in den späten 70er-Jahren erstmals mit der internationalen Avantgardekunst in Berührung gekommen. Es gab in Innsbruck zwei Institutionen, die für deine Generation besonders wichtig waren, die Galerie Krinzinger und die Landesgalerie im Taxispalais.
Das Besondere an Innsbruck war, dass es die beiden von dir erwähnten Institutionen für zeitgenössische Kunst gab, aber auch ein kleines Theater am Landhausplatz, das damals u. a. Arrabal und Kroetz aufgeführt hat. Und dann gab es die Musikveranstalter, Gerhard und Maria Crepaz, die zahlreiche internationale Avantgardemusiker nach Innsbruck und Hall gebracht haben, darunter die besten Cage-Interpreten oder Ligeti und Stockhausen. Die kleine Community, die zu solchen Veranstaltungen kam, bestand aus 20 bis 30 Leuten, meist dieselben, die man dann mit der Zeit auch kannte und zu der etwa Heinz Gappmayr zählte. Kleinstädte haben gegenüber den Metropolen den Vorteil, dass man die seltenen Möglichkeiten, sich zu informieren, nützen muss, sonst sind sie weg. Anders als in Wien oder London, wo es im Laufe jeder Woche zahlreiche Veranstaltungen gibt, die man frequentieren könnte; was dann oft der Grund dafür ist, dass man überhaupt nirgendwo mehr hingeht. Ich hatte das Glück, dass ich in Innsbruck sehr jung mit diesen Positionen konfrontiert wurde. Wichtig in diesem Zusammenhang war auch das von Ursula Krinzinger in Wien organisierte Performancefestival, das zweimal stattgefunden hat. Vieles davon konnten wir damals parallel in Innsbruck sehen, wie etwa die Projekte von Terry Fox, Simon Forti, Julia Hayward oder Tom Marioni. Und wir haben Workshops besucht, die Künstler wie Joseph Kosuth, Giuseppe Chiari oder General Idea in Innsbruck gegeben haben. Konfrontationen mit sehr exponierten internationalen Positionen der Performancekunst und des Konzeptualismus, die in den späten 70er-Jahren von zentraler Bedeutung waren.
1978 bist du dann erstmals nach Wien gegangen.
Ja, um an der Akademie zu studieren.
Wie war damals das Klima an der Akademie und in der Wiener Kunstszene?
Die Akademie war verschlafen. Aber es gab eine Gruppe von Mitstudierenden, mit denen man intensiv diskutiert, Informationen ausgetauscht und verschiedene Dinge unternommen hat. In meiner Klasse waren Marcus Geiger und Heimo Zobernig, die bereits in den 80er-Jahren in der Wiener Kunstszene eine wichtige Rolle spielten. Ich habe Bühnenbild inskribiert, weil ich dachte, dass dies am ehesten der Bereich wäre, wo etwas Ähnliches wie Performance oder ein erweiterter Begriff von Kunst Platz hat. Diese Annahme hat sich dann aber sehr bald als Missverständnis herausgestellt. Manchmal ist es dennoch gar nicht so wesentlich, was man studiert oder wer an der Akademie unterrichtet, sondern vielmehr, mit wem man studiert und welches Umfeld sich daraus ergibt.
Du bist wegen einer unangemeldeten künstlerischen Aktion von der Akademie verwiesen worden, ein Verweis, dem du aber durch deinen freiwilligen Abgang zuvorgekommen bist. War nach diesem Bruch mit der akademischen Kunstausbildung für dich klar, dass du Wien verlassen und künstlerisch weiterarbeiten wirst?
Ich bin 1979 zurück nach Innsbruck, weil da noch einige Dinge offen und unerledigt waren, und habe als Restaurator in einer kleinen Werkstatt gearbeitet. Rückblickend war das für mich sehr produktiv, da ich parallel dazu künstlerisch arbeiten konnte und mich meine Arbeitskollegen darin unterstützten. Ich habe dann auch relativ früh an Ausstellungen teilgenommen. 1979 fand eine kleine Performance in der Galerie Krinzinger in Innsbruck und im selben Jahr in der Galerie nächst St. Stephan in Wien statt. 1983 hatte ich schließlich meine erste Einzelausstellung.
Von einer größeren Öffentlichkeit erstmals wahrgenommen wurdest du aber durch eine Fotoserie in der Wiener Stadtzeitung
Der Falter , die jene Aktion dokumentiert hat, derentwegen du von der Akademie verwiesen wurdest. Dann folgte in Wien dein zweiter öffentlicher Auftritt Ende 1979 in der Ausstellung
Situationen , einer von Rosemarie Schwarzwälder kuratierten Gruppenausstellung in der Galerie nächst St. Stephan, die junge, aufstrebende Künstler gezeigt hat.
In der Ausstellung gab es Installationen und sehr viel Performatives, was natürlich mit der Zeit davor zusammenhängt und dem doch relativ starken Paradigma, das damit einhergegangen ist. Ein oder zwei Jahr später war mit dem großen Boom der Malerei plötzlich alles anders.
Dein Beitrag, die 5-minütige Ausstellung im kleinen Ausstellungsraum der Galerie, hat darin bestanden, dass du fünf Minuten lang einen Kopfstand in einem Metallgefäß gemacht hast, das im gleichen Jahr für Joseph Beuys’ Installation Basisraum Nasse Wäsche angeschafft worden war.
Ich wollte eigentlich einen großen Blumentopf, aber den gab es nicht – nur das große Waschschaffel.
Robert Fleck bezeichnet deine Performance in einem Text über die
5-minütige Ausstellung als präzises Statement zur Problematik der Post-Performance, die in den Folgejahren fast alle Kunstrichtungen prägte, insbesondere die Malerei der Neuen Wilden. Lässt sich daraus für deine Arbeit auch eine Skepsis gegenüber expressiver Kunst folgern?
Expression war zu der Zeit auf die Malerei bezogen kein Thema. Das ist erst 1980/81 aufgetaucht. Aus den 60er- und 70er-Jahren heraus gab es eine grundlegende Skepsis gegenüber der gegenständlichen Malerei. Zu dem Zeitpunkt war es auch schwer vorstellbar, dass Malerei auf eine Art wieder alles dominieren wird, wie dies dann in den 80er-Jahren tatsächlich der Fall war. Ich würde sagen, dass meine Arbeit in der Galerie nächst St. Stephan bezugnehmend auf Performance und Aktionismus eine ironische Komponente hatte. Weil sie in gewisser Weise von der Dramatik her das Gegenteil des Wiener Aktionismus war. Also völlig undramatisch.
Spielte für dich in diesem Zusammenhang auch Duchamp eine Rolle?
Ich glaube schon, weil Duchamp die Qualität hatte, eine gewisse Distanz zu wahren, nämlich irgendetwas zu machen, ohne zu sehr involviert zu werden, und zwar im Sinne von Expression oder emotionaler Dramatik. Für diese Haltung hatte ich große Sympathie.
Duchamp steht auch für die radikale Öffnung des Kunstbegriffs und damit einhergehend neben anderem für die Verneinung des Produktionsaktes.
Das Ready-made ist ein ganz grundsätzliches Statement des letzten Jahrhunderts, das bis heute wirkt. Insofern ist Duchamp zweifellos eine Schlüsselfigur des 20. Jahrhunderts.
Welche Künstler außer Duchamp waren für dich in den 70ern und frühen 80ern wichtig?
Interessanterweise neben Duchamp auch Magritte, aber auch die Amerikaner und mit ihnen der Minimalismus und die Pop-Art. Wobei ich die Pop-Art auf Andy Warhol einschränken kann. Was wiederum mit Duchamp zusammenhängt. Warhols Rolle innerhalb der Pop-Art scheint mir der Duchamp’schen Position am nächsten, nämlich ein Sujet zu nehmen und dieses aus einem gegebenen Zusammenhang heraus in einen anderen zu stellen. Oder hundertmal dasselbe Bild zu generieren. Ich denke, dass die Arbeiten der 60er-Jahre von Warhol auch aus der Perspektive der Minimal Art heraus zu rezipieren sind. Brillo-Boxen und die Cubes von Donald Judd – da gibt es große Affinitäten. Aber auch die Serialität. Die ist durchaus vergleichbar mit den Progressionen bei Sol LeWitt oder mit bestimmten Arbeiten von Carl Andre.
Einige Jahre später, 1983, hattest du deine erste Einzelausstellung in der Galerie Krinzinger in Innsbruck, in der du Kartonobjekte mit Kohlezeichnungen gezeigt hast, die nun erstmals wieder in der Ausstellung im MUMOK zu sehen sind. Bei diesen Arbeiten sind bereits Ansätze sichtbar, die später wichtig wurden – wie die Verwendung einfacher Zeichen und die zunehmende räumliche Anlage der Objekte. Was war damals der Grund dafür, mit Karton als Bildträger zu arbeiten?
Vor den Kartonstücken habe ich Arbeiten auf sehr dünnem Papier gemacht, ungerahmt. Das hat ausgesehen, als ob die Zeichnung direkt auf der Wand wäre. Die Wand war Bildträger bzw. Teil der Zeichnung. Diese Arbeiten haben aus mehreren Teilen bestanden, wie die Rattenarbeit von 1982. Es gab ein gewisses Interesse an Fläche und Raum, und deshalb war es naheliegend, sie in den Raum zu kippen. Das war durch den Karton möglich. Es gibt ein kleines Kartonhaus aus den frühen 80er-Jahren, das sich gewissermaßen aus der Wand herausfaltet. Die Dreidimensionalität hat sich dann zunehmend verselbständigt. Das ist ein Aspekt. Der andere ist, dass ich in der Zeit sehr stark an Film interessiert war, v. a. an historischen Filmen, dem deutschen expressionistischen Film, also an Filmen aus den 20er-Jahren, Murnau, Wiene, Lang. Und da wiederum besonders an der Filmarchitektur. Viele meiner Kartonstücke haben auch deshalb mit Architektur zu tun. Sie zitieren Häuser und andere architektonische Formen.
Auf einigen Kartonobjekten sind Menschenmengen zu sehen, anonyme Menschen in schwarzen Anzügen, die an ein und demselben Objekt dutzende Male auftauchen. Auch sie erinnern an den expressionistischen Film eines Fritz Lang beispielsweise.
Fritz Lang wurde vorgeworfen, er hätte mit seinen Filmen, etwa mit Metropolis, das Vokabular für Leni Riefenstahl vorbereitet, weil er Statisten wie Ornament benutzt und sie im Film direkt mit Architektur verschränkt hat. Man denke an die Ansammlung vor der Kathedrale, wo sich diese Form der Menschenmenge dann im Tympanon wiederfindet.
Wie wichtig war für dich die Zeichentheorie, die besonders in den 70er- und 80er-Jahren die intellektuelle Diskussion geprägt hat?
In Wien habe ich Wittgenstein-Seminare und später an der Uni in Innsbruck unterschiedliche Vorlesungen besucht, die sich damit auseinandersetzten. Zeichentheorie wurde damals allgemein stark rezipiert. Ein Interesse, das auch aus der Kunst gekommen ist, wenn man z. B. an Kosuths Art after Philosophy and After denkt, worin es um Sprache und Wirklichkeit geht.
Mitte der 80er-Jahre hast du mit dem Computer zu arbeiten begonnen. Ein, wie sich aus der zeitlichen Distanz darstellt, eminent wichtiger Schritt. Du zählst damit international zu den ersten Künstlern, die mit den neuen Technologien experimentiert haben. Was waren deine Gründe?
Computerkunst hat es bereits in den 60er-Jahren gegeben. Die Vorgeschichte ist also eine deutlich längere. Nur der Charakter des Mediums hatte sich durch die sogenannte Benutzerschnittstelle signifikant verändert. 1984, glaube ich, ist der erste Macintosh aufgetaucht. Das war die erste Maschine, mit der man arbeiten konnte, ohne über Texteingaben Programme steuern zu müssen. Man konnte den Computer auf einmal völlig intuitiv benutzen, und zwar über die Maus. Mit dem Macintosh sind auch die einfachen Symbole und Zeichen aufgetaucht. Womit sich wiederum der Kreis zur Zeichentheorie schließt. Es gab das merkwürdige Phänomen, dass man mit einer hochentwickelten Maschine konfrontiert war, die auf einer sehr komplexen Technologie beruhte, die aber gleichzeitig den Anwender auf eine Sprach- bzw. Kommunikationsebene brachte, die vor der gesprochenen Sprache lag. Man fand sich damit plötzlich wieder in einer Situation, die aus der Kindheit bekannt war, wo man auf etwas hinzeigt und es benennt: Farbeimer, Radiergummi, Pinsel. Die Tatsache, dass man durch eine technologische Entwicklung wieder auf eine weit zurückliegende, scheinbar bereits überwundene Kommunikationsebene zurückspringt, ist übrigens bemerkenswert.
Wann hast du deine am Computer entwickelten Arbeiten erstmals öffentlich gezeigt?
1984 auf der Messe in Basel, 1985 in der Gracie Mansion Gallery in New York und 1986 auf der Biennale in Venedig. Die Arbeiten waren aber nicht zuordenbar.
Warum nicht?
Es war klar, dass der Computer ein revolutionäres Medium neben anderem auch für die Bildproduktion, für Typografie und Layout ist. Überraschend eigentlich, wie lange es dauerte, bis sich die Computertechnologie darin niedergeschlagen hat. Die ersten Sachen entstanden meines Wissens erst zwei, drei Jahre nach der Einführung des Macintosh. Entwürfe von Neville Brody, publiziert im Face Magazine. Interessanterweise waren seine Entwürfe formal stark an der russischen Kunst orientiert. Sie erinnern an Lissitzky oder Rodtschenko. In der Architektur hat es noch viel länger gedauert, was aber nachvollziehbar ist, da die Informationen, die für Architekturentwürfe aufzuarbeiten sind, eine wesentlich komplexere Rechenleistung erfordern.
Der erste Macintosh verfügte weder über Farbe noch Graustufen. Es gab nur die pure digitale Information, nämlich ein/aus, Schwarz oder Licht, die härteste Version eben. Das sieht man auch an meinen ersten Arbeiten. Der Macintosh konnte keine Graustufen darstellen. Die einzelnen Flächen wurden nur durch Muster bzw. Pattern differenziert.
Bei deinen frühen computergenerierten Arbeiten ist auffallend, dass du offensichtlich nicht von maschinenimmanenten Fragestellungen ausgegangen bist, sondern von der menschlichen Figur. Porträts, die betont grafisch gehalten sind, ausschließlich in Schwarzweiß und mit deutlich sichtbaren Rasterstrukturen.
Und zwar Rasterstrukturen, die sich unterscheiden vom Zeitungsraster oder dem Raster aus den Drucktechniken, die es davor gab. Die Rasterstruktur meiner Figuren war gänzlich mathematisch aufgebaut, sie basierte auf einer ausschließlich orthogonalen Grundstruktur.
Resultiert dein Interesse am Computer aus dieser grundsätzlich mathematischen Struktur?
Der Computer ist ein Zeicheninstrument, das eine Art von Filterfunktion aufweist, wodurch das Emotionale, Handschriftliche oder Gestische stark gefiltert wird.
In diesem Zusammenhang muss ich an die Gesichtszüge deiner frühen Porträts denken, die in den Darstellungen fast oder vollkommen fehlen. Bis zu einem gewissen Grad scheint diese Negierung der subjektiven Handschrift und damit die weitgehende Absenz von Inhalt die theoretischen Implikationen von Duchamp und Warhol fortzuschreiben.
Mich haben damals die riesigen Porträts mit rotem Hintergrund aus den kommunistischen Ländern interessiert. Sie zeigen zwar eine bestimmte Person, aufgrund ihrer Idealisierung aber völlig losgelöst vom tatsächlichen Leben. Eigentlich eine völlig leere Form. Ich hatte kein Interesse an einer subjektiven Form von Porträts, die Assoziationen mit wirklichen Personen zulassen. Mich interessierten eher Fragestellungen danach, was noch zwingend notwendig ist, um ein Gesicht als solches lesbar zu machen. Also dieses einfache Punkt-Punkt-Strich-Prinzip. Und was passiert, wenn die Linie leicht nach unten gekrümmt ist oder leicht nach oben. Was löst so etwas psychologisch aus? Ich war also eher am Phänomen interessiert.
Ende der 80er-Jahre hast du begonnen, einfache, verständliche und zugleich komplexe Zeichen zu entwickeln. Die Motive Röhre, Ameise und Gehirn tauchen auf. Wie kam es zu diesen Motiven?
Die Motive entstanden oft aus den Zeichnungen. Ich habe mich intuitiv für sie entschieden. Die erste Arbeit mit einer Ameise war ein kleiner Super-8-Film, den ich im Garten von Freunden in Italien gedreht habe. Ich hatte damals immer eine Kamera dabei. Die Ameise ist zufällig über die Zeitung gelaufen, und ich bin ihr einfach mit der Kamera gefolgt. Der Film war ursprünglich nicht als autonome Arbeit gedacht. Erst in der Reflexion im Nachhinein war es aber eben nicht nur eine Ameise, sondern eine Ameise auf einer Zeitungsseite, also eine Ameise im Verhältnis zu einem Zeichensystem. Die Ameise selbst als Form hat einen sehr starken Zeichencharakter und wirkt, als würde sie sich als Buchstabe verselbständigen. Das Röhrenmotiv gibt es schon in den frühen Arbeiten, die Röhre hatte für mich von Beginn an einen zitierenden, modernistischen Charakter. Aber gleichzeitig ist diese schwarzweiße Rohrform ein primäres formales Gestaltungselement, man denke nur an die Kubisten oder an Fernand Léger oder generell an architektonische Säulenformen. Auch das Gehirnmotiv verwendete ich relativ früh. Es gab ein kleines Objekt aus den 70er-Jahren, das allerdings verlorengegangen ist.
Worin besteht für dich das den genannten Motiven Gemeinsame oder Verbindende?
Sie haben in irgendeiner Form mit Information zu tun und mit Informationsflüssen. Ihnen ist auch gemeinsam, dass sie sich mit Labyrinth in Verbindung bringen lassen, also ein variables Verhältnis von Ordnung und Chaos aufweisen, Systematik ist ein Thema, schwer durchschaubar. Eine Art von sozialer Komponente spielt eine Rolle, das Verhältnis von Individuum zu einer Gruppe oder Gesellschaft. Es sind Motive, die nicht spezifisch kulturell konnotiert sind, die überall auf der Welt ähnlich lesbar sind. Motive von einer gewissen Universalität und Zeitlosigkeit.
Und sie scheinen etwas Unendliches zu haben.
Ja, das All-over spielt eine große Rolle. Die Motive sind nach allen Seiten hin offen und somit unbegrenzt. Wir haben über mein frühes Interesse an der amerikanischen Kunst gesprochen, und da ist natürlich auch Jackson Pollock wichtig und mit ihm die amerikanische Idee des All-over, und zwar als Gegensatz zur Komposition der Europäer. Darin liegt für mich auch nach 1945 einer der signifikanten Unterschiede zwischen der europäischen und der amerikanischen Kunst.
Dem Prinzip des All-over scheinst du nicht nur in räumlicher, sondern auch in zeitlicher Hinsicht zu folgen. Die Motive tauchen über die Jahre immer wieder auf, mal in nur leicht variierter Form, mal deutlich modifiziert und weiterentwickelt. Das Grundmotiv bleibt aber immer erkennbar.
Dass ich über eine lange Zeit dieselben Motive verwende, hat wahrscheinlich mit zwei Aspekten zu tun: Um ein Vokabular zu etablieren, ist es zum einen notwendig, die Bausteine eines Vokabulars systematisch zu benutzen und permanent zu verwenden. Daraus resultiert dann so etwas wie eine (Bild-)Sprache. Der zweite Grund ist wahrscheinlich die systematische Vorgangsweise, die eine Tendenz meiner Arbeit ist. Also mit einigen wenigen Grundelementen zu arbeiten und von Projekt zu Projekt die Parameter zu verschieben. Vielleicht sieht es auf den ersten Blick so aus, als wäre das Vokabular sehr konsistent. Es gibt aber kein Projekt, das gänzlich mit einer anderen Arbeit ident ist.
Du hast in der Folge mit den Motiven einen entscheidenden Schritt gesetzt, nämlich durch die zentrale Bezugnahme auf die Architektur, die ja auch schon in den frühen Kartonobjekten angelegt war. Lässt sich hier ein Zusammenhang mit deinem Aufenthalt in Los Angeles 1989/90 herstellen?
Tanja, meine Frau, hat Architektur studiert. Wir hielten Los Angeles für einen guten Platz für ihre Arbeit als Architektin. Sie hat in L. A. begonnen, intensiv über Architektur zu recherchieren, vor allem über John Lautner, der in Europa damals so gut wie unbekannt war. Ich begleitete sie bei den Recherchen, was zu einem wichtigen Input für meine eigene Arbeit wurde.
Wie war für dich die Arbeitssituation in Los Angeles?
Ganz gut, weil ich ein eigenes Atelier hatte. Als Künstler hat man hier einen gewissen Vorteil, da man überall seine Arbeit machen kann. Ob sich dann jemand für deine Arbeit interessiert, ist ein anderes Thema.
Hattest du Kontakt mit amerikanischen Künstlern?
Ja, ich hatte Freunde. John Baldessari hat uns sehr unterstützt, uns mit vielen Künstlern bekanntgemacht. Ich habe Jim Shaw kennengelernt und Matt Mullican, der zwar in New York lebte, aber zeitweise in Los Angeles war. Auch Martin Kippenberger war da und Hubert Schmalix. Es gab damals so etwas wie eine Aufbruchstimmung in L. A., die aber nicht lange anhielt. 1989 ist dann der Markt zusammengebrochen. Es war die Zeit vor der Ausstellung Helter Skelter, durch die die Westküste erstmals neben New York international präsent wurde. In den 1990er-Jahren war Los Angeles bezogen auf die Produktion die wichtigste Stadt in den USA, nicht für den Handel, aber für die Produktion – also durch Künstlerinnen und Künstler wie etwa Mike Kelley, Paul McCarthy, Liz Larner, Chris Burden, Charles Ray und viele andere.
Hat sich der Aufenthalt in L. A. auf deine Arbeit ausgewirkt?
Das kulturelle und soziale Umfeld, in dem man sich bewegt, schlägt sich selbstverständlich immer in irgendeiner Form auf die eigene Arbeit nieder. Ich kann aber im Nachhinein kaum sagen, ob es Einflüsse waren, die mit Los Angeles zu tun hatten, oder ob es die unglaublichen Entwicklungen in der Computertechnologie selbst waren, die entscheidende Konsequenzen für meine Arbeit hatten. Sehr wahrscheinlich überlappt sich das.
Was in Amerika immer im Vordergrund steht, ist die Konzentration auf eine gewisse Methodik oder Systematik. Ein Zugang, der zwar immer schon in meiner Arbeit angelegt war, sich aber durch meinen Amerika-Aufenthalt noch verstärkt hat. Wichtig ist die Frage danach, wie etwas produziert wird und wie man damit umgeht.
1992 wurdest du dann zur documenta IX eingeladen.
Wir sind 1990 aus Los Angeles zurückgekehrt. Vor Los Angeles, in den 80er-Jahren, hatte ich einige Ausstellungen; zurück in Europa war anfangs ziemliche Windstille, das war für mich fast wie ein Neustart. Dann kam glücklicherweise die Einladung von Denis Zacharopoulos und Jan Hoet zur documenta IX. Kurios für mich war die Entscheidung Jan Hoets, meine Arbeit in der Eingangshalle des Fridericianums zu installieren. Ich war damals ein junger, weitgehend unbekannter Künstler und die Eingangshalle einer der zentralen Orte der documenta, im selben Raum war auch die Arbeit von Bruce Nauman zu sehen. Diese Entscheidung Jan Hoets hat mich jedenfalls sehr überrascht. Ich hatte auch nie zuvor eine Arbeit dieser Größe realisiert, schon aus diesem Grund war die Geschichte mit einer gewissen Aufregung verbunden.
War das deine erste raumbezogene Arbeit?
Nein, für eine Ausstellung in Santa Monica bei Richard Kuhlenschmidt hatte ich bereits den Bildhintergrund auf die Wandfläche ausgedehnt und mit auf die Wand tapezierten Postern gearbeitet, für die ich das Gehirnmotiv verwendete.
Wie ist die documenta-Arbeit rezipiert worden?
Es gab zahllose Reproduktionen in Zeitungen. Aus sehr einfachen Gründen, die wahrscheinlich mit der Beschaffenheit der Arbeit, bezogen auf den Informationsaspekt, zu tun hatten. Sie war schwarzweiß, und sie hatte eine Dimension, die in der Zeitungsreproduktion lesbar blieb. Wie auch immer, die Ameise, die Jahre zuvor über eine Zeitung in Italien lief, ist mit der documenta-Arbeit wieder in die Zeitung zurückgekehrt. Die Arbeit beruhte ja auf dem Bild einer Ameise, die in der Installation ein paar hundert Mal auf der Wand aufgetaucht ist. Durch die vielen Reproduktionen der Installation in Zeitungen und Zeitschriften kam es schließlich zur millionenfachen Vervielfältigung dieses Informationspartikels. Etwas, das mich damals massiv zu interessieren begonnen hat. Diese Monumentalität, die durch die Reproduktion erzeugbar ist, bzw. die Methode, Informationspartikel in ein System einzuspeisen, in dem sie dann gewissermaßen explodieren und in alle Richtungen expandieren.
Eindrucksvoll im Hinblick auf deinen Umgang mit Raum und Architektur war auch die Secessions-Ausstellung von 1995. Der Raum, der in der Secession ein „totaler“ Raum ist, wurde dabei zum wesentlichen Faktor deiner Arbeit. Damit scheinst du für dich endgültig die Transformation des Bildes in einen dreidimensionalen Bildraum vollzogen zu haben. Mit der Tapete als Bildträger.
Es war dies Siebdruck auf Papier, also ein modulares System, mit dem ich die Strukturen zusammensetzen konnte. Siebdruck deshalb, weil es damals die einzige Reproduktionstechnik war, mit der man einen qualitativ hochwertigen Farbauftrag erreichen konnte. Das Material für die Ausstellung in der Secession ließ sich in zwei kleinen Kisten verstauen. Das Verhältnis der Größe des Raumes, der mit Information überzogen wurde, zum Volumen des dafür verwendeten Materials ist auch ein Aspekt dieser Arbeit. Von der Technik her war die Arbeit ident mit meinem Beitrag für die documenta IX von 1992. Ein signifikanter Unterschied ist jedoch, dass bis zur Secessions-Arbeit alle meine modularen Wandarbeiten orthogonal aufgebaut waren, das heißt, die Wände wurden gerastert, und dann ist jedes Feld mit einem bestimmten Modul besetzt worden. 1995 in der Secessions-Installation läuft die Zeichnung völlig chaotisch in alle Richtungen und funktioniert völlig konträr zur tatsächlichen Architektur. Man spürte, wie ein gewisses Spannungsverhältnis existiert hat zwischen der real existierenden Architektur und einem mehr oder weniger illusionistischen Bildraum, der aus unserer Wahrnehmung resultiert. Der aber auch sehr stark mit dem Medium zu tun hat, mit dem diese Module generiert wurden.
Du hast bei den Projekten ein Grundprinzip entwickelt, das dem Aufbauteam weitgehende Entscheidungsfreiheit bei der Installation der Röhrenmuster ließ, dem Funktionsprinzip eines Computers nicht unähnlich, der Bilderwelten selbständig zu Ende konstruiert.
Das Eigenleben des Computers ist etwas, das sich mit statistischen Mitteln umreißen lässt. Eine bestimmte Form von Algorithmen, die nach dem Zufallsprinzip funktionieren. Und das ist ja – weil wir zuvor von All-over gesprochen haben – genau das, was diese Kunst auszeichnet. Ob der Tropfen hier liegt oder zehn Zentimeter weiter oben, ist unerheblich. Weil es im Wesentlichen um eine Streuung geht, um eine statistische Größe.
Wie hat am Beispiel der Secessions-Ausstellung die Entscheidungsfreiheit in der Umsetzung ausgesehen?
In der Secession hatte sich tatsächlich etwas verschoben. Gemeinsam mit dem Aufbauteam haben wir vor Ort ohne vorgefertigte exakte Pläne besprochen, wie die Module angebracht werden könnten. Es gab lediglich einfache Spielregeln. Im Prinzip war alles möglich, mit der einzigen Einschränkung, dass es nichts sein durfte, was den Raum zentriert hätte. Eine Horizontale stabilisiert und zentriert den Raum vollständig, war also ausgeschlossen. Was im Übrigen, wenn man darüber nachdenkt, etwa auch für die Bilder von Pollock gelten könnte. Die Qualität der Bilder liegt in der statistischen Streuung.
Der Künstler als handwerklich Ausführender verschwindet gewissermaßen, ein Prinzip, das bereits in deinen frühen Arbeiten angelegt scheint. Wie auch die diesem Prinzip immanente Infragestellung von High und Low Culture.
Zwei Aspekte, die zusammenhängen. Einerseits das herkömmliche Bild des in jedem Stadium der Entstehung einer künstlerischen Arbeit omnipräsenten Künstlers versus irgendetwas, das delegierbar abzuwickeln ist, und andererseits das Verhältnis von „hoher“ Kunst und „populärer“ Kunst. Ich denke, das sind zwei Modelle, die miteinander verschränkt sind.
Und die unterschiedliche Zugänge zu deinen Arbeiten ermöglichen.
Seit den 1980er-Jahren gibt es den Begriff der Mehrfachkodierung. Er steht für ein Modell, das einigermaßen plausibel erscheint. Du kannst etwas machen, das auf mehreren Ebenen rezipiert werden kann. Die Röhren sind etwa als Pipelines oder als Informationsstränge lesbar. Dann gibt es aber auch die Möglichkeit, sie aus einer kunsthistorischen Perspektive heraus mit Fernand Léger oder der Minimal Art in Verbindung zu bringen. Es gibt generell immer die Möglichkeit, dass Arbeiten mehrere Bedeutungen annehmen.
Spielen in deiner Arbeit Kategorien wie High und Low Culture überhaupt eine Rolle?
Wenn, dann nicht in Form bewusster Entscheidungen. Eher sind es Zuordnungen von außen, in die man hineinschlittert. Grundsätzlich glaube ich, dass es Arbeiten gelingen muss, eine Balance zu halten. Weil immer ein Bereich dazu tendiert, den jeweils anderen zu dominieren. Für mich war es manchmal wichtig, in einem Bereich etwas zu machen, das dann für den anderen relevant wurde.
Ich möchte noch einmal auf die Secessions-Ausstellung zurückkommen, da sie für mich eine signifikante Entwicklung in deiner Arbeit darzustellen scheint. Du hast bereits darüber gesprochen, dass du mit deiner damaligen Installation eine computergenerierte Unendlichkeit in einen begrenzten, endlichen Kunstraum übertragen hast. Die Installation ließ den Ausstellungsraum als einen Raum ohne Anfang und Ende erscheinen, dessen reale unveränderte Begrenzungen für die Besucher illusionär durchlässig und unklar wurden.
Das war in einer gewissen Weise bereits in meiner Arbeit für die documenta IX angelegt. In der dortigen Korridorsituation mit dem Kubus, in dem Bruce Nauman seine Arbeit zeigte. Die Zeichnung mit dem Ameisenmotiv hat sich nicht nur über die Wände, sondern auch über die Decke ausgebreitet. Das heißt, du hast nie einen Überblick bekommen. Du wusstest nie, von wo bis wo die Zeichnung verlief.
In der Secession war die Dynamik aber dennoch eine andere.
Sie war viel expansiver.
Man könnte auch sagen, dass der modernistische Raum der Secession durch die Dynamisierung des Röhrengeflechts dekonstruiert wurde. Für die Wahrnehmung wurde der originale Raum gewissermaßen in einen anderen, einen virtuellen Raum transformiert.
Das hatte mit dem spezifischen Charakter des Raumes zu tun. Ich habe für die Ausstellung mehrere Versionen entwickelt. Die ersten Varianten hatten jeweils eine orthogonale Struktur, die dadurch den Raum akzentuierten. Dieser Raum beruht ja auf Quadraten. Die Problematik, die sich daraus ergeben hat, war, dass der Raum immer präsenter war als die Zeichnung. Deshalb die schlussendliche Entscheidung, völlig konträr zum Raum zu arbeiten.
Mit deiner Rauminstallation für die documenta X, zu der dich Catherine David eingeladen hat, scheinst du 1997 angesichts der Korridorsituation in der documenta-Halle einen anderen Zugang gewählt zu haben. Die ursprünglich klar definierte und kontrollierte Röhrenform hat sich dabei in ein amorphes Röhrengeflecht verwandelt. Sie dehnt sich labyrinthisch gewunden über die gesamte Wandfläche aus.
Das Gebäude ist sehr lang, es erstreckt sich über 70 Meter. Das mäandernde Röhrenmotiv hat den Raum visuell zusätzlich gedehnt und gestreckt. Ich bin bereits vor der documenta des Öfteren eingeladen worden, Arbeiten für Räume zu konzipieren, die nicht explizit Ausstellungsräume sind, also für Foyers, Treppenhäuser, Korridore. Das war bei der documenta IX schon so und eben auch bei der documenta X: ein großer Korridor, der eigentlich Foyer-Charakter hat. Vielleicht werden mir solche Räume zugedacht, weil meine Arbeiten sie transformieren. Ein anderer Grund könnte darin liegen, dass meine Arbeiten mit schnell lesbaren Informationen verknüpft sind, Informationen, die man ohne großes Vorwissen im Vorbeispazieren aufnehmen kann. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass meine Installation für die documenta X sehr stark unter dem Aspekt der Vernetzung und des Internets rezipiert wurde. Ein Aspekt, den ich selbst in keinem Interview oder Gespräch erwähnt hatte, der auch auf keiner bewussten Intention von mir beruhte. Offensichtlich war 1997 aber der Zeitpunkt, zu dem das Internet in das allgemeine Bewusstsein gerutscht ist und meine Arbeit damit zu einer Metapher für das Internet und für die Vernetzung werden konnte. So entsteht Bedeutung: das Auftauchen eines kulturellen Phänomens zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten kulturellen Umfeld, in dem dann eine künstlerische Arbeit plötzlich entsprechend lesbar wird.
1999 hast du erstmals in der von Hortensia Völckers und ihrem Team kuratierten Festwochenausstellung
Wahlverwandtschaften
Video eingesetzt und damit ausdrücklich ein computergeneriertes virtuelles Raumgebilde geschaffen. Interessanterweise ist dies im Theaterkontext geschehen.
Ein gutes Beispiel dafür, dass etwas, das anfangs für einen bestimmten Zusammenhang gedacht war, später für einen anderen Bereich Konsequenzen nach sich gezogen hat. Das Festwochenprojekt war für mich im Nachhinein deshalb auch ein sehr wichtiges Projekt. Im Kunstkontext wäre die Arbeit überdies wegen der damals extrem hohen Kosten für Projektoren nur schwer finanzierbar gewesen, dem Theater stehen aber doch andere Produktionsmittel zur Verfügung. Was mir darüber hinaus auch erstmals die Möglichkeit gegeben hat, mit jemandem aus dem Soundbereich zusammenzuarbeiten, nämlich mit Franz Pomassl.
Wie kam es zur Entscheidung, Sound in deine Arbeit zu integrieren?
Der Sound war ein wichtiges Element für die Choreografie der Tänzerin Jennifer Lacey. Aus diesem Projekt ist schließlich auch die langjährige Kooperation mit Franz Pomassl entstanden.
Die Installation für
Wahlverwandtschaften
hat die immer noch zunehmende Tendenz deiner Arbeiten zur Dematerialisierung und Abstraktion weiter verdeutlicht. In der Folge, mit deiner Ausstellung im Kunsthaus Bregenz (2000), kam ein psychedelischer Aspekt hinzu, der durch die desorientierende Raumempfindung stark aufgeladen wurde.
Die Emotion entsteht – das weiß man vom Film – vor allem durch den Sound. Was aber bei Projektionen wie in Bregenz passiert, ist, dass sie dein ganzes Orientierungsfeld einnehmen. Wie ein riesiger Lift, der abstürzt, oder wie ein Haus, das zu rotieren beginnt. Tatsächlich sind dann auch viele Leute am Boden gesessen, um die Projektionen auf sich einwirken zu lassen. Der psychedelische Eindruck, von dem du sprichst, ist vielleicht auch
daher gekommen.
Und der Betrachter selbst war im Bild.
Das ist das Besondere der Rauminstallationen, dass man Betrachter und gleichzeitig wie im Bild ist. Das hat aber natürlich auch mit Architektur zu tun, weil sie ein Medium ist, zu dem man nur sehr beschränkt Distanz halten kann. Immer ist man Teil der Architektur. Da gibt es diese Verschränkung. Es lohnt sich übrigens, diesen Zusammenhängen an Beispielen der Filmarchitektur nachzugehen. Im Film lassen sich genau diese Bereiche ausloten.
Ist der Film nach wie vor wichtig für dich?
Ja. Neben den expressionistischen Filmen haben mich immer schon Science-Fiction-Filme interessiert. Nicht nur unter dem Aspekt visionärer Zukünfte, sondern vor allem auch im Hinblick darauf, welche Art von Zukunft die jeweilige Gegenwart visioniert, unter deren politischen und kulturellen Einflüssen die Filme entstehen. Von den 60er-Jahren bis herauf in die 80er gibt es visionäre Filme, wie 2001: Odyssee im Weltraum, Solaris, Alien, Star Wars, Blade Runner etc. Erst für die 90er fällt es plötzlich schwer, Filme zu nennen, von denen man behaupten könnte, sie hätten ein klares Bild ihrer Zeit gezeichnet.
Was ist der Grund dafür?
Das Fehlen von Visionen, vielleicht von Utopien. Odyssee ist stark geprägt von 1968, von den damaligen Entwicklungen der Hochtechnologie, vom Hype rund um die Mondlandung, vom Aufkommen der Computertechnologie, von den utopischen Entwürfen im Architekturbereich – Archigram, Superstudio usw. Bei Star Wars oder Alien spürt man bereits einen historisierenden Aspekt, wie der Blick auf der Zeitachse sich nach hinten zu wenden beginnt. Odyssee richtet sich nach außen, Alien nach innen. In den 80er-JahrenBlade Runner, ein großartiger Film. Man bedenke aber die Sets: Zum Showdown kommt es etwa in einem Gebäude in Downtown L. A. aus dem frühen 20. Jahrhundert, Harrison Ford als Rick Deckard lebt in einer Wohnung von Frank Lloyd Wright aus den 20er-Jahren, Tyrell, der Gen-Konstrukteur, in einer Pyramide. Also lauter kulturhistorische Zitate. In der Fusion großartig, eine Verschränkung von verschiedenen Kulturen. Andererseits aber auch das Stadtbild, die riesigen Projektionen: Das alles findet sich heute tatsächlich etwa am Times Square oder in den großen asiatischen Städten. Blade Runner war auch visionär im Hinblick auf die Entwicklung der Luftqualität in den Metropolen.
Was uns zum öffentlichen Raum bringt, der in Zusammenhang mit Architektur immer wichtiger für deine Arbeiten geworden zu sein scheint. Wie siehst du das Verhältnis deiner Arbeiten im öffentlichen Raum zu den Arbeiten im Ausstellungskontext?
Sie existieren parallel. Kunst im öffentlichen Raum hat meist einen anderen Maßstab. Dagegen steht bei Projekten im Ausstellungskontext der große Vorteil des Laborcharakters. Du kannst mit Ideen experimentieren, Umsetzungen versuchen, die sonst nur schwer machbar wären. Auch deshalb halte ich es für problematisch, diese beiden Bereiche auf institutioneller Ebene gegeneinander auszuspielen. Es ist wichtig, beides im Auge zu behalten.
Kunst im öffentlichen Raum hat heute häufig temporären Charakter. Ein wichtiger Aspekt auch deiner Arbeiten, da du immer wieder mit neuen Materialien experimentierst, die offensichtlich keinen Ewigkeitsanspruch erheben.
Wenn ich meine Arbeiten über die Jahre betrachte, dann fällt tatsächlich auf, dass sie meist auf sehr leichten Materialien beruhen: dünnes Papier, dünnes Gewebe, Licht, Aufblasbares. Materialien von einer gewissen Flüchtigkeit.
Die dann auch keinen aufwändigen Transport erfordern. Wie bei deinen zwei kleinen Kisten für die Secessions-Ausstellung, von denen du gesprochen hast. Parallel zu deinen Installationen finden sich aber durchaus auch „materielle“ Arbeiten, also Bilder, Objekte und Zeichnungen. Gibt es innerhalb der Medien eine Wertung bzw. Hierarchie?
In meinen Arbeiten tauchen verschiedenste Medien simultan auf, und zwar in einer nicht hierarchischen Weise.
Die Zeichnung ist von Anfang an präsent, dann gibt es die raumbezogenen Arbeiten, die Tapetenräume, die Projektionen, die Metallobjekte usw. Es resultieren daraus Methoden, die über die Jahre erweitert werden und wo Erfahrungen aus einem Medium sich in ein anderes Medium übersetzen. Wie bei den großen Projektionen für dieWahlverwandtschaften oder für die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz. In den beiden Ausstellungen habe ich sechs bzw. zwölf Projektionen eingesetzt, die vom Bildaufbau gleich sind wie die Tapeten, also die eine rechte Bildkante passt mit der anderen linken Bildkante zusammen. Damit war es möglich, ganze Räume mit bewegten Bildern zu bespielen.
Manchmal ist es eben so, dass aus einem einfachen Medium heraus formale Entscheidungen getroffen werden, die dann auch für ein komplexeres Medium einsetzbar sind. Zum Zeitpunkt der Wahlverwandtschaften hat man kaum raumgreifende Projektionen gesehen, weil es damals schwer war, so viele Projektoren zu synchronisieren, und weil niemand darüber nachgedacht hat, das Videobild wie eine Tapete zu behandeln. Was man normalerweise ja auch nicht macht.
Was hat sich im Verhältnis zu vorangegangenen Installationen bei den raumgreifenden Projektionen im MUMOK geändert? Gibt es neue technische Möglichkeiten, die du genutzt hast?
Die Arbeit im MUMOK schließt, was das Grundmaterial betrifft, an die Arbeit im Kunsthaus Bregenz an. Sie beginnt mit dem Schwarzweißraster mit Sound von Franz Pomassl. Ein Raster, der sich im Lauf von sechs Minuten deformiert bzw. ganz auflöst. Obwohl das Grundmaterial dasselbe ist, sind die Oberflächen völlig andere, weil sich die Technologie in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Jede Technologie eines spezifischen Zeitpunkts produziert jeweils spezifische Oberflächen. Beispielsweise sind die Bilder aus der Mitte der 80er-Jahre mit den grob gerasterten Bildstrukturen verschwunden, weil die Technologie obsolet geworden ist. Es gab einfach ein formales Fenster, das nur für kurze Zeit offen war. Selbstverständlich könnte man es im Nachhinein künstlich rekonstruieren. Aber wozu?
Die einst klare und kontrollierte Form der Röhre wurde parallel zur Dematerialisierung deiner Raumarbeiten zu einer amorphen, mäandernden Form, die sich ständig aufs Neue durch die Computeranimation und das Videobild dynamisiert. Wie auch in der MUMOK-Ausstellung zu sehen ist.
Etwas, das allgemein zutrifft. Man denke etwa nur an die Architektur, daran, wie sie sich in den letzten zehn Jahren aufgrund der Entwicklungen in der Computertechnologie verändert hat. Nicht zuletzt auch, weil alle mit denselben Tools arbeiten.
Hinter der Transformation der ehemals „modernistischen“ Röhrenform steht also keine bewusste Entscheidung, sondern eine technologische Entwicklung, die die neue Form geschaffen hat?
Die bewusste Entscheidung ist etwas, das man ohnehin relativieren muss. Natürlich könnte man die Animation als eine Art Progression der Entropie beschreiben. Sie geht ursprünglich von einem orthogonalen, geordneten Raster aus und entwickelt sich zu einer Art chaotisch organischer Form. Was im Wesentlichen auch beschreibt, was es ist. Gleichzeitig handelt es sich aber auch um Formalismen, die sich gegenwärtig in verschiedensten kulturellen Zusammenhängen beobachten lassen. Weil wir in einer medialen, völlig vernetzten Welt leben. Du findest dieselben Formalismen in Computerspielen, in der Architektur, im Design, in Videoclips, eigentlich überall.
Lässt sich für dich eine Verbindung herstellen zwischen dieser Struktur, die den Zufall zuzulassen scheint, und der bereits beschriebenen Wahrnehmung deiner Installationen als unbegrenzt und nach außen offen?
Die Frage nach dem Zufall stellt sich, wenn man sich eine Laborsituation vorstellt. In einer Laborsituation versucht man extreme Kontrolle darüber zu haben, was man macht. Du führst eine bestimmte Systematik ein und modifizierst von Experiment zu Experiment nur einige wenige Parameter, um verifizieren zu können, was sich verändert hat. Aber die Art und Weise, wie es sich verändert, ist natürlich auch vom Zufall abhängig. Von den Faktoren, die mit ins Spiel kommen, davon, welches Material wie reagiert. Für mich sind die künstlerischen Arbeiten, die den Zufall in überzeugendster Weise einführen und thematisieren, zugleich auch die Arbeiten, die am stärksten methodisch sind. Etwa dieDrei Musterfäden bei Duchamp. Er nimmt drei Fäden und lässt sie aus exakt einem Meter auf den Boden fallen, und dann macht er drei Lineale.
Was bedeutet dies für deine Zusammenarbeit mit anderen Künstlern? Du hast ja seit den 80er-Jahren immer wieder gemeinsam mit Künstlerfreunden Projekte realisiert, etwa mit Marcus Geiger, Heimo Zobernig, Franz Pomassl, Florian Hecker, Jennifer Lacey, Cameron Jamie oder Franz West.
Es geht dabei nicht so sehr um den Zufall, sondern eher um die Erweiterung des eigenen Spektrums. Darin liegt der große Vorteil von gemeinsamen Projekten und generell der Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Künstlern. Dass jeder mit spezifischen Vorstellungen in ein Gemeinschaftsprojekt hineingeht, die sich nicht notwendig mit den Vorstellungen des Partners decken. Woraus etwas Neues resultieren kann und im günstigsten Fall für alle Beteiligten die Erweiterung des Blicks auf die Dinge.
Wie groß siehst du den Einfluss sozialer, wirtschaftlicher oder politischer Realitäten auf deine Arbeit?
Natürlich gibt es diesen Einfluss, aber nicht auf der Ebene der Tagesaktualität. Ich bin an Bildern interessiert, die mit Gegenwart zu tun haben, also mit der mich umgebenden Realität. Das resultiert auch aus den Methoden, mit denen ich arbeite.
Bilder, die mit Gegenwart zu tun haben?
Ich meine die Frage danach, wodurch Gegenwart heute repräsentiert wird.
Würdest du in deinen Arbeiten eher den Versuch einer Aneignung von Realität sehen oder den einer Transformation von Realität in die Kunst?
Es ist eher das Interesse, Methoden zu verwenden, die für einen bestimmten Zeitpunkt repräsentativ sind.
Deshalb der Computer als Medium?
Ja. Vergleichbar der Rolle des Siebdrucks in den 60er-Jahren. Eine Oberfläche, die mit einem bestimmten kulturellen Zeitpunkt assoziiert war. Noch einmal, es geht mir darum, mit dem Medium zu arbeiten, das unsere gegenwärtige Wirklichkeit repräsentiert.
Darin liegt auch ein politischer Anspruch.
Absolut, aber nicht in einer narrativen Weise, sondern in der Methode.