Galerie Mezzanin

Fouad Asfour, 2007
Some things you lose, some things you give away / Künstlerbuch / artist book
schlebrügge.editor, Wien 


Beauty lies in the eye of another’s dreams

 

Es ist wie in einem fließenden, sich ständig verändernden Raum, in dem ich mich mal von außen und mal von innen betrachten kann. Die Richtung einer Erzählung kann gewechselt werden, wie beim Malen. Es ist keine Richtung da, außer die Richtung in die ich gehe. Und während ich gehe entsteht der Raum und die Umgebung, wende ich mich um finde ich etwas anderes.

Wir verwenden eine Sprache, die strukturell von zwingender Logik ist, nur machen die Voraussetzungen der gelebten Wirklichkeit und die unendlichen Ebenen ihrer Wahrnehmung eine vollkommen adäquate Sprachverwendung unmöglich. Sprache ist auch nicht wissenschaftlich meßbar, die Interpretation von sprachlichen Äußerungen ist, je nachdem in welchem Rahmen sie fallen, eine intime Angelegenheit.

Dann die zahllosen Richtungen der Wahrnehmung, die ja immer von einem Gefühl begleitet sind. Wie eine Filmmusik zur Welt verbindet es Zeit und Raum mit dem was sich dem Menschen während der kognitiven Prozesse darbietet. Sprache verbindet diese beiden Bereiche und macht eine prozedurale Erschließung der Welt zugänglich. Gleichzeitig erzeugt Sprache den Gegensatz von innen und außen, in der Sprache wird das heart of darkness zum Herzen der Finsternis, einem Bild das von selbst entsteht, in der Begegnung mit dem Anderen. Was sind die eigentlich wirksamen Agenten, wenn es um Unterscheidung geht, wenn es um die Frage nach dem Innen und dem Außen geht? Zu sagen „Kenne ich, kenne ich nicht“, darin steckt auch Lustgewinn. Bei Sigmund Freud kann man in „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“ auf Seite 135 lesen „Daß das Wiederfinden des Bekannten, das „Wiedererkennen“ lustvoll ist, scheint allgemein zugestanden zu werden. Groos sagt (Die Spiele des Menschen, 1899, S. 153): „Das Wiedererkennen ist nun überall, wo es nicht allzusehr mechanisiert ist (wie etwa beim Ankleiden, wo...), mit Lustgefühlen verbunden. (...) Wenn so der Akt des Wiedererkennens lusterregend ist, so werden wir erwarten dürfen, daß der Mensch darauf verfällt, diese Fähigkeit um ihrer selbst willen zu üben, also spielend mit ihr zu experimentieren. In der Tat hat Aristoteles in der Freude am Wiedererkennen die Grundlage des Kunstgenusses erblickt, und es läßt sich nicht leugnen, daß dieses Prinzip nicht übersehen werden darf, wenn es auch keine so weittragende Bedeutung hat, wie Aristoteles annimmt.’ Groos erörtert dann die Spiele, deren Charakter darin besteht, die Freude am Wiedererkennen dadurch zu steigern, daß man demselben Hindernisse in den Weg legt, also eine „psychische Stauung“ herbeiführt, die mit dem Akt des Erkennens beseitigt ist. Sein Erklärungsversuch verläßt aber die Annahme, daß das Erkennen an sich lustvoll sei, indem er das Vergnügen am Erkennen mit Berufung auf diese Spiele auf die Freude an der Macht, an der Überwindung einer Schwierigkeit zurückführt. Ich halte dieses letztere Moment für sekundär, und sehe keinen Anlaß, von der einfacheren Auffassung abzuweichen, daß das Erkennen an sich, d.h. durch Erleichterung des psychischen Aufwands, lustvoll ist und daß die auf diese Lust gegründeten Spiele sich eben nur des Stauungsmechanismus bedienen, um deren Beitrag in die Höhe zu treiben.“

Lies mir deine Bilder vor, laß deine Texte anschauen, was denkt ihr eigentlich, soll ich für euch denken? Das wird jetzt kein Text, der Katrins Bilder handgerecht erklären wird. Kann die traditionelle akademische Kunstgeschichte nicht vielleicht besser als europäische Ethnographie gedacht werden? Wenn ich Bilder anschaue kann ich sie fühlen oder auch lesen, doch das kann jeder für sich selbst entscheiden. Welche Texte es zu Kunst zu lesen gibt, das wird ja in dem von der akademischen Disziplin bestimmten Diskurs fein säuberlich ziseliert und tradiert. Die Realität wird da nicht ans Gefühl rangelassen, andersherum kenne ich da auch nicht viel. Wer wird schon beim Lesen von kunsttheoriegeschichtlichen Reflexionen fortgetragen, meistens endet das bei einer abständlichen Betrachtung. Dabei können einen die Gefühle ganz fertig machen beim Anschauen von Kunst, so schnell daß da kein Gedanke einer langsamen und anschaulichen Kontemplation zugeführt werden kann. Sind Emotionen ein Wahrnehmungsorgan, so wie Hören, Sehen, Riechen, Tasten? Oder eher wie ein Kommentar? Wie ist es überhaupt, hört ihr etwas wenn ihr lest, fühlst du etwas wenn du etwas riechst, wie schmeckt das Anschauen von Bildern? Entfaltet sich cross modal perception durch Erfahrung, kann die an- und abgestellt werden wie mit der loudness oder Baß-Taste beim Verstärker? Wenn man sich vorstellt zum Beispiel, wie Bilder im Traum entstehen, sieht das doch so aus, daß da nicht nur die Bibliothek Des Bereits Gesehenen vor einem abläuft, sondern vielmehr entsteht ganz Neues nämlich dadurch, daß die Bilder durch Gefühle erst zu den Bildern werden, die wir sehen, und sicher auch durch Erzählungen. Gefühle wirken wie Bildunterschriften, Erzählungen geben einen Kontext und rufen das nächste Bild hervor. Jeder Text kann eine Menge von Bildern aufwerfen in mir. Und in Katrins Bildern geschieht genau das, es sind Bilder nicht von etwas, sondern Bilder, die zu etwas führen. Während ich im Sehen mir eine Realität zu bilden meine, weist ihre Malerei mich auf mich selbst zurück, in dieser Bewegung entsteht dann ein Bild für einen selbst. Sie liegt genau zwischen dieser Bewegung und dem, was sich dem Auge bietet, sie arbeitet nicht mit Acryl sondern mit dem Gefühl, das dazu führt ein Bild hervorzurufen. So wie Erzählungen, Begegnungen oder Situationen aufkommen, wenn man etwas erkennt, ohne zu wissen was es nun genau ist. Bei meinen Eltern im Wohnzimmer hängt ein Bild von Matisse, das zeigt einen Tisch mit einem Goldfischglas drauf. Meine Mutter hat es von einer Postkarte abgemalt und ich kenne es seit ich mich erinnern kann. Es ist nie ganz fertig geworden und aus der Form der Goldfische lugt die weiße Leinwand hervor.

“... stimme ich mit Ihnen überein, daß mir keine Kultur, keine geschlossene Lebensform neidenswert erscheint. Je durchlöcherter die Lebensformen sind, desto mehr mögen die wahren Verhältnisse hindurch leuchten. Ich bin im Letzten Anarchist, freilich skeptisch genug, um den faktischen Anarchismus auch für eine Verstellung des Gemeinten zu halten. Was heute unter dem Wort „Gemeinschaft’ verstanden und ersehnt wird, ist bare Mythologie, die glaubt unter Einschluß der Natur den consensus erreichen zu können und an der Gestalt ihr Idol hat. Der Begriff der Gemeinschaft ist von dem Gegenbegriff der „Gesellschaft’ her konstruiert, der zwar die natürlichen Bindungen der Gemeinschaft auflöst, aber nicht den realen Menschen einsetzt, sondern den verdinglichten. Der Traum, die äußerste Bestimmung des echten Anarchismus ist ein ‚Verein freier Menschen’, wie Marx gesagt hat. Belastet man diese Worte so schwer wie sie verdienen, so hat man an ihnen eine Norm, von der aus die Begriffe der Gemeinschaft und der Gesellschaft der Kritik unterliegen. Weder die kulturelle, gewachsene Einheit, noch die gesellschaftliche Organisation kann von dieser Norm aus zu ertragen sein. Je mehr Löcher und Spalten desto unverstellter ist der Blick. Die Frage ist nur, ob und wie die Annäherung an die von dem Anarchismus gemeinte Realität möglich sei. Hier erfüllt mich, gerade, weil ich glaube, ein Unglaube dem Kafkas gleich, und mir scheint, als ob die Wahrheit in ihrer Realität immer genau an der Stelle läge, über die wir gerade geschritten sind.“ (Siegfried Kracauer in einem Brief an Ernst Bloch, 1926)


Wenn ich in Richtung der „Besucher aus dem Hier“ schaue habe ich zuerst das Gefühl, ganz undeutlich, daß ich da nicht besonders erwünscht bin, vor dieser Leinwand. Die Blicke treffen mich unbeteiligt, neugierlos, nicht abwehrend oder feindlich, eher neutral und abwartend. „Da schau. Wie bist du dahergekommen, wie sind diese Leute uns ins Bild hereingefallen? Hat da wer was bemerkt?“ Ich bewege mich ein wenig zu Seite „Was schaut ihr so, welches Boot hat euch hier eigentlich anlegen lassen?“ Das Schauen fühlt sich mehr an wie ein Entdeckt-werden, doch genau so, als würde die eigene Anwesenheit, die eigene Haltung und das eigene Denken in Frage gestellt werden. „Warum so angespannt, warum so unsicher?“ Es ist auch die Frage nach dem richtigen Denken, nach dem wie man im Hier und Jetzt ist, die da in der Luft liegt. Eine die einen auf das eigene Tun vor dem Bild hinweist und die Frage „was mache ich hier eigentlich?“ ganz stark in einem spürbar macht, und die kommt nicht aus irgendeiner vorher angestellten Überlegung. Gleich drauf die Frage „Und wieso sagst du das jetzt, ist das wichtig, weißt du nicht, wo du hin gehörst, wo der Raum ist, in dem du handelst, in dem du wirksam bist, wo du deine Ideen realisierst?“

Also die unbehandelte Leinwand, Löcher die entstanden sind, als sie mit dem Pinsel eine Bewegung ausgeführt hat auf der Leinwand, dabei manche Stellen ausgelassen hat, und damit ein Nichts vor seiner Wahrnehmung sichtbar macht. Da fällt mir die Monstera-Pflanze ein, die finde ich ist zum Beispiel eine großartige Metapher für die Moderne. Die Form der Blätter anschauen kann einen darauf bringen, wie eine westliche Moderne gedacht werden könnte. In Photographien von modernistischen Räumen fällt auf, daß immer ein exotisches Element zu sehen ist, die afrikanische Maske, der Kaktus oder sonst ein Dickblattgewächs. Und wirklich, denke ich, ist unsere Wahrnehmung von Räumen durch solche Elemente geprägt. Leere Stellen wohin man schaut, weiße Flecken auf der Landkarte. Wieso heißt der Weltkrieg eigentlich Weltkrieg? Es waren doch nur die westlichen imperialistischen Industrienationen, die sich mit größtmöglicher Anstrengung gegenseitig ihre Städte unbewohnbar machten, nachdem sie die Welt in Märkte aufgeteilt haben. Eine großangelegte Modernisierungsaktion, die erst heute von diesem deterriorialisierten Krieg übertroffen wird, der vor allem in den Köpfen stattfindet. Und wurde während dieser Zeit der Entzauberung der Welt der Orientalismus nicht als etwas Schönes und Geheimnisvolles herangenommen, um mit den traumatischen Erfahrungen von Modernisierung, dem Schrecken der Industrialisierung fertig zu werden? Währenddessen konnte die restliche Welt dem Weltkrieg als Zaungast beiwohnen. Das kann in den Filmen von Satyajit Ray nachempfunden werden, da sieht man, wie die Welt ein Dorf war, in dem nichts geschehen ist, bevor dann die Nachkriegszeit hereinbrach und der Weltkrieg die Zerstörung in das „Heart of Darkness“ trug. Vielleicht ist es an der Zeit die Welt anders denken zu lernen, als eine, die fragend zurückschaut, in einem umgekehrten Orientalismus. Heute das postkoloniale Denken weiterzudenken heißt dann die Ideologie der europäischen Neuzeit weiterzuführen, einer projizierten, zusammengeklaubten Kulturgeschichte. Als begonnen wurde, den Anderen in einem abgetrennten Sein vom Eigenen zu denken und damit, ohne die eigene Identität auszubuchstabieren, die eines imaginierten Anderen zu konstruieren. In der strukturalistischen Linguistik gibt es den Begriff der privativen Opposition, wenn von zweien einer sich rausnimmt, nicht zu sagen wer und was er ist, während der andere sich ganz definieren und erklären muß, während bei der äquipollenten Opposition beide Seiten ihre Karten aufdecken.

Schönheit liegt im Auge der Träume eines anderen — wie das Andere im Eigenen Denken? Das zeigt zum Beispiel Agnès Varda ganz schön in ihrem Film „Cléo de 5 à 7“, als die Sängerin Cléo, gespielt von Corinne Marchand, zwei Stunden lang auf das Ergebnis ihres Krebstests wartend unruhig durch die Stadt streift, die sich als unbewohnbarer Ort mit gefühllosen Bewohnern entlarvt, bis sie dann im Park angesprochen wird von einen Soldaten, dargestellt von Antoine Bourseiller, warum sie so traurig sei. Er muß am Abend nach Algerien in den Krieg ziehen, auf dem Weg bringt er sie im Krankenhaus vorbei. Ich kenne kaum einen schöneren Kinodialog als den dieser zwei Menschen, die sich herausgeworfen finden aus dem, was Tag und Nacht für sie bisher zusammengehalten hat. Da fängt Kunst für mich an, sie stellt mich heraus aus den Zusammenhängen, entfernt mich vom Gewohnten, schlägt mir ein neues Sehen und Spüren vor, und öffnet den Blick auf die vielfältigen Möglichkeiten des Daseins. Die Welt kann gleichzeitig als Ganzes und in einer subjektiven Wahrnehmung gedacht werden. Die Kunst von Katrin stellt mir Bilder vor Augen, ermöglicht es weiterzuleben und zu träumen, indem sie Freiheit läßt, weiße Flecken, wie die Luftlöcher in einem Pappkarton.