Galerie Mezzanin

Goschka Gawlik, 2007
Some things you lose, some things you give away / Künstlerbuch / artist book
schlebrügge.editor, Wien 


Katrin Plavcaks Malerei und die Hypostasen zum kosmischen Weltraum


Die Geschichte der Malerei bedeutete noch bis vor kurzem die Geschichte der sich verändernden ästhetischen Kriterien, der Funktion und Rolle der Kunst. Bei allen ihren revolutionären Umbrüchen, ihrer ununterbrochenen Suche nach Neuem und Formexpansion entscheidet die Malerei schon lange nicht mehr über die Kraft der Kunst, da ihre Stärke im Synkretismus liegt. Nichtsdestoweniger erscheint heute bei vielen KünstlerInnen der Glaube an die potenziellen und experimentellen Möglichkeiten eines malerischen Bildes gleichermaßen unerschüttert. Natürlich im Wissen um die ganze Last der Erfahrungen und Abenteuer der modernen Kunst im 20. Jahrhundert – mit ihrer Instabilität, mit den in ihr sich ereignenden Umwertungen und Brüchen, der Vielfalt künstlerischer Deklarationen, der zunehmenden Verdrossenheit, sich mit Inhalten auseinander zu setzen, bei steigender Formdominanz. Die Malerei hat schon längst die Grenze zwischen Figuration und Abstraktion, Bedeutung und Bedeutungslosigkeit, zwischen Ausdrucksschärfe eines Gegenstandes und Autonomie einer Farbform überwunden. Sie schuf ebenfalls eine Menge Indifferenz zwischen Objektivität der Außenwelt und Subjektivität der Innenwelt, genauso wie sie die Illusion der Realität mit den Anspielungen auf sie blendend verwischte. Die Kunst im Allgemeinen und die Malerei im Besonderen sind tatsächlich nahezu absolut geworden, da ihre Grenzen unter dem Imperativ der Verschmelzung von Kunst und Leben, dem Druck der Neuheit und der unbegrenzten Macht des Negativen beispielhaft konstituiert wurden.

Nachdem die Malerei laut Jean Baudrillard „mehr zur Ware als die Ware“ geworden ist, treibt sie die Alteration ihrer Erscheinungsformen weiter und definiert ihre Grenzen und Wirkungsbereiche selbst. Sie braucht keine usurpatorischen Verteidiger mehr, die auf neue Malerei-Theorien pochen, weil jede Definition oder Theorie ihre neu erblickten Möglichkeiten, die öfters ihre Gestalt und Perspektiven ändern, einengt. „Die einzige radikale und moderne Lösung besteht darin, das zu potenzieren, was in der Ware neu, originell, unerwartet und genial ist, d. h. die formelle Indifferenz gegenüber der Dimension des Gebrauchs und des Wertes und die Vorherrschaft der schrankenlosen Zirkulation“ – schrieb Baudrillard weiter. Die Bedingung der Artikulation einer solchen inessentiellen Dominanz ist eine gewisse Unbestimmtheit und Flüssigkeit aller künstlerischen Gattungsgrenzen.

In der Globalisierungsära, in der Epoche „nach dem Ende der Kunst“ und dem „Ende der Geschichte“ kann vieles Kunst und Malerei sein, aber nicht über alles lohnt es sich zu sprechen. Die gegenwärtige Malerei, die zivilisatorischen Diskursen offen gegenüber steht und zum Realen einen differenzierenden Bezug unterhält, provoziert zuletzt nicht unbedingt nur einen rein malerischen Diskurs. Im Sinne von Zygmunt Baumanns Liquid Modernity versucht sie sich aus dem „Joch“ der eigenen Vergangenheit, dem Kult des Erhabenen und aus der Präsumtion zu befreien und sie zerfließt in den medialen Alltag bis an die Grenzen ihrer Auflösung. Dabei geht es nicht mehr darum, eine absolute Differenz zwischen dem Ort und dem, was am Ort der Malerei stattfindet, zu inszenieren, wie das z.B. bei Malewitschs Weißem Quadrat auf weißem Grund noch der Fall war. Es handelt sich auch nicht um die Tilgung jeweiligen Inhalts, sondern es wird versucht, die Grenzen der Malerei zu einer mediatisierten Umwelt flüssig, wandlungsfähig, gegenseitig stimulierend und überschreitend plastisch offen zu halten. (1) Die visuelle Bildflut bildet hier das neue, faszinierende Feld der zahlreichen malerischen Untersuchungen, Rekonstruktionen und Experimente, da die Medienwelten samt ihrer Visualität keiner traditionellen Wissensdisziplin ausschließlich zuzuordnen sind, obwohl die Film- und Bildwissenschaft hier lobenswerte Pionierarbeit geleistet hat.

Die Malerei besitzt nicht nur eine Geschichte – an die sie sich neuerdings öfters erinnert – sondern sie ist auch eine Geschichte, indem sie sich mit anderen aktuellen politischen, philosophischen, (techno)wissenschaftlichen oder sozialen Entitäten des globalen Kapitals vernetzt und dadurch außergewöhnliche ästhetische Wirkungen zwischen Abstraktion, Visionärem und Banalem erzielt. Die gegenwärtige Malerei weitet damit ihre Raumwirkung und diese Art des Raumwachstums bedeutet eine Verfassung steigender Kommunikativität, die laut Peter Sloterdijk „höhere Erreichbarkeit von Mitgliedern sozialer Systeme“ aufweist. (2) In der Erfahrung der Malerei kann der Raum selbst auf seine Geschichte verweisen und wird in Zeiten der Reduktion des Malerischen formal als Gitter, Reihe, Struktur oder Serie markiert oder codiert. Wenn aber die rationale instrumentale Betrachtung und emotionale Ladung außer Kraft geraten, entsteht eine Virulenz, in der sich neue, anscheinend beliebige und lebendige Potenziale und Möglichkeiten auftun.
Die soziale Konstruktion der Macht und der Visualität sowie ihr Übergehen in unsere Bild- und Vorstellungswelten hat Michel Foucault in den 1970er Jahren noch als die panoptische Macht beschrieben, in der das örtliche Engagement der beiden Parteien – der Beobachtenden und Beobachter, der Kontrollierten und Kontrolleure – unbedingt notwendig war. Aufgrund der rasanten Entwicklung der neuen satellitären Technologien verbreitete sich dann aber die Ansicht, dass Raumdenken oder Raumordnungen etwas Überholtes seien und das Zeitkriterium einzig relevant sei. Die Befürworter des zeitgenössischen Denkens reklamieren aber heute erneut die Rekognition des Raumes, und selbst Foucault, in seinem Aufsatz „Andere Räume“, meinte, dass die gegenwärtige Epoche die des Raumes und der Techniken seiner Verteilung sein werde. Auf dem Gebiet der Demographie und Menschenunterbringung nannte er vor allem die Probleme der Platzierung, Stapelung und Lagerung und im weitesten Sinne auch die der Behausung, „welche Markierungen und Klassierungen für die Menschenelemente in bestimmten Lagen und zu bestimmten Zwecken gewährt werden sollen“. (3)

Nach dem Ende des Panoptikums (Jean Baudrillard) steht die Malerei/Kunst vor dem Dilemma: soll sie sich gegen die verschwommene Unbeständigkeit der Lebensverhältnisse auflehnen oder sie in ihre Bildfindungen, der Lehre der Poststrukturalisten wie Julia Kristeva, Jacques Derrida oder Gilles Deleuze folgend, integrieren und in neue Zusammenhänge stellen. Braucht die Malerei überhaupt noch an einem selbstbezüglichen Ort zu kleben, während sich Skulptur und Architektur seit den 1960er Jahren endgültig vom rein formalästhetischen Kanon befreiten und seitdem ununterbrochen den Anspruch erheben, alles zu sein und ineinander zu fließen? Die Soziale Plastik Joseph Beuys’ sollte das Leben in Politik und Wirtschaft jedermann kreativ gestalten helfen, und die Architektur entwickelte sich zu bewohnbarer skulpturaler Schauspielerei voller Gigantomanie. Wie kann unter diesen Umständen die Malerei in ihrem schöpferischen Verfahren „den Raum des Außen“ (Foucault) für sich erschließen und ihn nicht bloß als ästhetisches Stilmittel im Bezug auf gesellschaftliche Phänomene Erkenntnis fördernd erfahrbar machen?

Nach dem massiven Auftreten der Medien im Kunstbereich seit den 1960er und 1970er Jahren nimmt die Gegenwartsmalerei und damit auch die Malerei von Katrin Plavcak in ihrer künstlerischen Entfaltung erneut den Dialog mit verschiedenen Verkörperungen des Raumes auf. Bereits die 1980er Jahre brachten den so genannten spacial turn – der Raum verwandelt sich in der Theorie in einen Prozess – und diesen Paradigmenwechsel illustriert in der Kunst der Übergang von Objekten, die bloß einer Anschauung dienten, zu performativen Orten, die subjektive Erfahrung und Empfindung vermitteln. Die Taktik der Konfrontation wurde also durch die Praxis des „Eintauchens“ ersetzt.

Plavcaks Malerei gehört in ihrer spatialen Entwicklung und im Zusammenhang mit der Entfaltung des Atmosphärenbewusstseins, das „im Zentrum der Selbstexplikation der Kultur im 20. Jahrhundert steht“ (4), auch dazu. Die Malerin beschäftigt sich schon immer mit verschiedenen Zirkulationsmustern der flirrenden Aufsplitterung des Raumes, seiner „psychografischen“ Navigation sowie auch seinen nostalgischen, postmodernen Trägheiten. Die Bildraumerfahrung ist bei ihr fragmentarisch, kognitiv und, an die entfernte Tradition der Situationistischen Raumtaktiken anknüpfend, gesellschaftsbezogen. Die affirmative Seite von Plavcaks Bilddenken in Raumkategorien hat seine Wurzeln in ihrer Beschäftigung mit und in ihrer Produktion von sozial engagierter, stilistisch heterogener Popmusik. Die Musik und der Sound bilden sozusagen ihre soziale Raumkapsel, in der sie ihre malerische Performance konzipiert.

In ihren frühen Bildern wendete sich die Künstlerin vorwiegend ihren privaten und familiären Räumen zu, eigenen Träumen, in denen Beziehungen, Nähe, Leidenschaften und diverse Hürden der Umwelt gegenüber in abstrakt-expressionistisch erfasster Malweise ihren expliziten Ausdruck suchten. Allmählich erschlossen sich dann ihre Bildwelten auch weiteren gesellschaftlich-öffentlichen Sphären und ubiquitären Massenmedien samt ihren Binnenräumen, die in ihrer Vorstellungskraft nicht ganz deckungsgleich mit dem sichtbaren Umfeld zum Vorschein kamen (Orange, Plattentektonik). Kraft ihrer stark ausgeprägten raumgreifenden Attitüde appellierten Plavcaks Bilder an eine Phantasiewelt, die in einer Mediengesellschaft „den Triumph des laufenden (elektronischen) Bildes“ stets vor Augen hat. In ihrem ersten Katalog schrieb Martin Prinzhorn, dass ihre „frische“ Malerei ständig in Bewegung bleibt. (5) Dieses „Surfen“ auf der Bildoberfläche beschreibt die formale Ausführungsart von Plavcaks Bildern, zu der sichtbare Pinselstriche, ständige Explosionen und Ausrutscher der gemalten Formen und Situationen wie auch leichtfertig aufgetragene und äußerst sanfte, ungewöhnlich subjektiv empfundene Farballianzen (z.B. Violett, Grün und Grau) gehören. Axiale Bildstörungen, permanenter Schrecken und manchmal eine Art milchiger Dunst überziehen ihre Bildwelten wie ein geheimnisvoller Schleier.

Plavcak malte auch diverse „Milieu“-Raumbilder, die der Freizeit und dem heute obsoleten Thema Arbeit gewidmet waren. Sie schuf auch eine Reihe jugendlicher Gesichter und anderer auffälliger Porträts in Großformat, die durch ihre mannigfachen Bildflächen und schräg gezoomten Perspektiven erwärmen oder erkalten können, dumpf oder verzerrt erscheinen. In diesen Bildern hat sie der Malerei durch die unterschwellig etwas cyborghafte Physis ihrer Helden, in denen das Reale und das Phantastische gleichwertig erscheinen, neue unwiderrufliche Raumansprüche zugewiesen, die eine veränderte Stellung der Menschen zur Welt deuten. Ihre Porträts, die manchmal auch als Selbstporträts getarnt werden, sind nicht metaphorisch, sondern zeigen, großformatiger Werbung oder Plakaten nicht unähnlich, sichtbare Wirkungen eines zwanghaft arbeitenden unsichtbaren modernen Raumgefüges und einer zumeist städtischen/politischen Raumplanung. Sie rücken die klassische Tafelmalerei (oder das Bild über dem Sofa) mitten in einen öffentlichen Diskurs, der bisher üblicherweise vorwiegend anderen Kunstmedien oder Malereigattungen vorbehalten war und der zusätzlich durch die rhetorische Provokation herbeigeholt wurde mittels Verwendung z.B. des Idioms „for the birds“ als Ausstellungstitel oder der durch Medien benützten Schlagworte „Fortschreitende Angst“ oder „Geheimes Leben“.

Malerei Impossible oder Eigenheiten des Beliebigen

In ihrer Neigung zur Formauflösung als Einprägung des Flüssigen und der Veränderlichkeit ist Plavcaks Malerei in ihrem Farb- und Stoffwechsel hauchdünn und wehrt sich, die allzu eindeutig definierbaren Figuren preiszugeben. Selten scheint sich bei ihr etwas in einen dauerhaft festen Kontext zu verwandeln. Statt einen Widerstand gegen das Reale zu erzeugen, opponiert sie lieber gegen den allgemein herrschenden Konsens, der akute Konflikte und Phobien bloß verschleiert. Aus heutiger Sicht geht es in ihrer Malerei darum, aus der Perspektive einer ironischen Diagnostik auf gewisse Spannungen, Verschiebungen und Aporien in der Domäne der symbolisch erfassten Kultur und Wissenschaft hinzuweisen und damit einen eigenen, scheinbar unberechenbaren Wissensraum zu generieren. Die ästhetischen wie auch kritischen Theorien und die wissenschaftlichen Erklärungen, die aktuelle kulturelle Diskurse z. B. über die Migration, Raumeroberung, Religion, Energiequellen und Biopolitik entstehen lassen, können für ihre Malereisprache zumeist als Dispositiv zur Kanalisierung und zum Abfließen der (libidinösen) Energien dienen(6), um diese dann in ihrer „Erörterung“ um eigene visierte Standpunkte, kritische Zweifel in Form von eigenen angewandten Vorstellungen potenziell zu verändern. Die von Jacques Lyotard am Beispiel der Malerei als „chromatischer Einschreibung“ beschriebene Freisetzung des Räumlichen kann auf einer Metaebene sowohl visuelle als auch haptische Abweichungen und Störungen geltend machen. Bei Plavcak gleichen sie in Bezug auf ihre Verbindung zur Musik einem Rausch, einem Misston oder aber auch einer Interface-Hexerei, die integrierte Schaltkreise des jeweiligen Systems kurzschließt.

Was ist an der Singularität der Bilder, die sich im Schaffen von KP aus dem medialen Universum anreichern allgemein, eigen bzw. authentisch? „Nicht die Indifferenz der allgemeinen Natur der Singularität gegenüber, sondern die Indifferenz von Allgemeinem und Eigenem, von Gattung und Art, von Wesentlichem und Nebensächlichem bringt das Beliebige hervor.“ (7) Dieses Beliebige, das der Ausdruck des Eigenen im undarstellbaren Raum ist – und von dem Giorgio Agamben in „Die kommende Gemeinschaft“ schreibt, dass „(d)as kommende Sein das beliebige Sein ist“ – bedeutet, wie er weiters erläutert, Agio, „das Nächstliegende, das für...Spielraum und Gelegenheit steht“, das in ununterbrochener Emergenz zwischen dem Besonderen und Gattungspezifischen, zwischen „Aneignung und Uneigentlichkeit“ der allgemeinen Form und der singulären Existenz oszillierend, seinen Ausdruck findet. Und eben in diesem freien Raum ereignet sich die Eigenheit des Beliebigen, das sich jedweder Zugehörigkeit zu jeglicher Menge oder Klasse stets entzieht. „In diesen Sinn – und nur in diesem – kann das Gute als eine Selbstergreifung des Bösen verstanden werden, und die Erlösung als das Zu-sich-Kommen des Ortes“ (Agamben). Als Bespiel nennt der italienische Philosoph hier Dostojewskis Idioten, den Fürsten Myschkin, „der mühelos jedwede Schrifrt nachahmen und in fremden Namen unterschreiben kann...in seiner Kalligraphie werden das Besondere und das Gattungsspezifische ununterscheidbar. Und eben das ist ‘Idiotie’, d.h. die Eigenheit des Beliebigen“. (8)
Die cyberhaft oder cartoonesk wirkenden Bilderfindungen von Katrin Plavcak sind danach auch beliebig bzw. idiotisch in der Art, wie sie die in Medienwelten, wie Film, Comics, Internet und Wissenschaft, und ihrem eigenen Archiv gefundenen Sujets und Bildmotive malerisch selektiert, umwandelt, entstellt, ausdehnt, erstreckt, remixt, nachempfindet und dann am Ort der Malerei und auch darüber hinaus direkt im Raum durch die einschlägige Betrachtung des Ausgangsmaterials im „Scanning Process“ – d.h. nach Villem Flusser in einem immer freierem Verfahren – sie in ein selbständiges Stattfinden versetzt. Agamben nennt dieses Statt-Finden nach Platon die Versetzung in „eine Idee“.

Mediale Fundstücke, die die Künstlerin in ihre Malereisprache transponiert und erneut transformiert, manifestieren solche beliebigen, d.h. nach Agamben liebenswerten „Singularitäten“, die kaum etwas eindeutig nach Außen repräsentieren. Daher überrascht in Plavcaks Bildern nicht das Neue, sondern das scheinbar allgemein Wiedererkannte und die Art und Weise, wie sie das, was infolge der nächsten Bilderflut verschwindet oder außer acht gelassen wird, aus einem vergessenen Archiv der Vergangenheit herauszieht und wiederholt und damit relativierend, wenn nicht zugleich ketzerisch-trotzig zu „Texten des Realen“ auferstehen lässt. Das Scheitern des Betrachters beim Versuch der Identifikation des „Originals“ scheint dabei vorprogrammiert. Die nicht vorhandene Augenscheinlichkeit ihrer Vorlagen ruft öfters das „unpleasure“ oder auch ein Mysterium hervor, das weitere Irritationen zur Folge haben kann.

Renovierung, Rehabilitierung oder bloß Gewissensbisse? Oder heißen die kulturtheoretischen Begriffe, die auf das Vermächtnis der Moderne und ihrer Mythen rekurrieren, vielmehr Recycling und Revision? Was aus dem Blickfeld verschwindet, erscheint in den neuen Kleidern der Malerei wieder – alle Bilder, die demnächst entstehen werden, sind seit einiger Zeit, laut Derrida, Teil einer Bildergalerie und man müsste bloß erraten, in welchen Saal sie eventuell passen würden. Einige dieser neu generierten Bilder würden sich eigentlich in die Gattung „Fetisch“ einordnen lassen, weil das „Ende“ von Allem bereits eingetreten sei. Auch in Plavcaks Oeuvre existieren einige solche angeeignete Bilder, wie Sexy Architektur, die durch die traumatische Wiederholung des Monströs-Maschinellen die Sexualisierung von Gewalt reflektieren und die Geschichte des Avantgardefilms sowie die moderne Praxis der Ästhetisierung der Macht erneut in Erinnerung rufen.

Seit kurzer Zeit ist die Vielfalt der aufeinander bezogenen Verknüpfungen und Vernetzungen von Außenräumen und möglichen Referenzen, die Plavcak in ihrer Präsentationsform verwendet, immer mehr zu einer Art heterogenen bühnenhaften Szenerie ausgeweitet. Eine solche Mobilmachung der Malerei, die sie selbst als „Szeneplastik“ bezeichnet, sucht ihre Verlängerung und Vergegenwärtigung jenseits der modernen Flatness der Malerei in der dritten Dimension des Raums und darüber hinaus in der Schwerelosigkeit und immateriellen kosmischen Sphäre des Weltraumes (der vierten Dimension nach H. Poincaré). In diesem Sinne versucht die Künstlerin ein effizientes bildnerisches Werkzeug zur visuellen Erschließung komplexer Systeme anzubieten und baut virtuelle Realitäten bzw. das, was als ihre Metapher gilt, nach. Als wollte sie sich mit den Außerirdischen und derartig Phantastischen unterhalten. Wenn gleich neben ihren Gemälden als Dokument eine monumentale „unbuntfarbige“ Fotografie (9) oder ein auf die Malerei bezogenes Szenographie-Dispositiv ausgestellt wird (z.B. die Akkumulation der provisorisch wirkenden Wohneinheiten in der Arbeit „City“ oder rudimentäre monochrome „Planemos“ in der Ausstellung „for the birds“) oder wenn auf dem Boden aufgestellte, plastisch-raue Ungestalten, die sie „Black Smokers“ nennt, emporsteigen, dann wird hier ein ökologisches Phänomen aus der unterirdischen Sphäre den theoretischen Erkenntnismodellen der Wissenschaft gemäß wiedergegeben, und es handelt sich hier nicht bloß um die Legitimierung des eigenen zur Kunst erklärten Gegenstandes (Duchamp). Einerseits kommt es hier zur Störung und Verfremdung visueller Vorstellungen, andererseits wird die gebrochene Repräsentation angeeigneter und ungelöster Probleme heutiger Naturwissenschaft behandelt, die für unerforschte Erscheinungen der Erde oder des Kosmos ständig neue Begriffe und visuelle Muster bei der Hand hat und sie als Ware im Rahmen der kapitalistischen Ökonomie fetischisiert. Die Konkretisierung der rätselhaften Begriffswelt der Wissenschaft oder der Hochtechnologien im physischen Artefakt, im Raum der Malerei, beraubt sie ihrer puren Wissenschaftlichkeit und gibt dem Ganzen den Anschein einer verklärten Theaterhaftigkeit und eines Nomadentums in der heutigen Spektakelära. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden damit in den Dienst eines emanzipatorischen Verständnisses der Malerei gestellt, die ihrerseits weniger eine Illustration zur Wissenshypothese und ihrer Erkenntnislogik erzeugt, als vielmehr zur Störung des Konsens und zur plastischen Ausdehnung ihres globalen Kontextes beitragen möchte. Die durch die Malerei kreierten Wirklichkeiten und die Verbindungen zwischen den ungleichen Kunstformen beginnen dann an Schnittstellen zwischen Fiktion und Realität, Idee und Körper, Erkenntnisakt und Halluzination zu schwingen und zu summen.

Ausbreitung ins Kosmische

Die hoch polierten, verführerisch und verträumt wirkenden Bilder von Weltraum und Weltraumfahrt, die lange Zeit bloß als eigene Simulation existierten und das Herumtreiben in kosmischen Sphären zeigten, sowie Visionen diverser Technikräume und Architekturen, die aus Science-Fiction Filmen und futuristischen Modellen bekannt sind, wecken auch Assoziationen mit dem klassischen „White Cube“, den Brian Doherty in der Zeit der Kosmoseuphorie als „freischwebende weiße Zelle“ definierte. Ebenso hat auch Marshall McLuhan zu Beginn der 1960er Jahre den modernen Menschen im Bezug auf die Raumfahrt einen „kosmischen Froschmann“ genannt.

Manchmal kann das Nächstliegende eben das Allerfernste sein, um gewisse Mechanismen der Macht, Manipulation und Kontrolle in Frage zu stellen. Die Erforschung des Weltalls, die Mondlandung, Dark Matter, Antimaterie, Satelliten, Aliens, Raumkapseln und viele damit verbundene mediale Klischees, die sukzessive Eroberung und erzwungene Exploitation des Kosmos vor allem zu militärischen und kommerziellen Zwecken mit der romantischen Freiheit des Universums vortäuschen, generiert die Malerin zu ihren eigenen Gegenentwürfen und einer Traumdeutung, nicht um sich mit ihnen enthusiastisch zu identifizieren, sondern vielmehr um sich dem Thema Kosmos und klimatisierter Atmosphärengläubigkeit in der Zeit der neuen „Heimatlosigkeit“ und des Exodus der Menschen aus vielen bisherigen „Nischen der Geborgeneit“ (Sloterdijk) aus Distanz ästhetisch zu nähern. Ihr Zugang zum utopischen Erbe der Moderne und der 1960/70er Jahre ist in der Zeit der postmedialen Malerei meist eine reflexive Abwandlung, er ist sowohl als Nachruf als auch als Aufheiterungsarbeit zu lesen. Kann man die gefundenen Bilder wie beispielsweise die Zellen eines Gehirns erneuern und regenerieren? Kann die Malerei hier die realen Prothesen erschaffen, um eine neue schöne Welt einzurichten? Und wie nicht-ernst ernst soll das sein?

Wie bereits Timothy Leary bemerkte: „Die Teile des Systems, die das System beobachten, verändern durch ihren Akt der Beobachtung auch das System.“ (10) In Plavcaks Bildern wird das Sehen, Beobachten und verkehrt Gespiegelte oft als Bildmotiv angewandt. 
In ihrer Bildkomposition „They got horses“ beobachten der Mond und ein Satellit das zauberhafte Treiben der Erdbewohner, das zum kosmischen Puritanismus in asymmetrischer Beziehung steht. Heute, im Zeitalter, in dem Informationstechniken verstärkte individuelle Ansätze zu einem globalen Gruppenintellekt ermöglichen, untersucht Plavcak auf eigene Art und Weise die Möglichkeiten des menschlichen Über/Lebens und seinen kulturellen Habitus in drei ineinander verwobenen atmosphärischen Raumebenen: in der irdischen Natur, im technich strahlenden Kosmos und am Grund der Tiefsee in ihren hydrothermalen Feldern. Die erste Ebene ist vom Realitätsverlust geplagt, die zweite postheroisch und die letzte geheim, auch weil in ihren Ökosystemen, die ohne Sonnenlicht auskommen, einige Forscher den Ursprung des irdischen Lebens und seiner Ausdifferenzierung, durch die Entstehung von Formen der Ausgrenzung und Isolierung, sehen.

Passfähige Menschen für das zukünftige Design for Life hat Moholy-Nagy in seiner Kunst noch als eine positive Utopie erfasst. Sartre hat dagegen in seinen ersten Texten das „Ich“ oder „Ego“ lediglich als transitorische Äußerlichkeit formuliert, die nicht objektivierbar ist und bereits Rimbaud als fremdbestimmtes „Ich ist ein anderer“ vorweggenommen hat. In Plavcaks Bildern tauchen immer wieder entfremdete Menschenfiguren auf, die sie prekären, für die Erde untypischen klimatischen Situationen anzuvertrauen versucht (z.B. „Raketenmann“, „Eiszeit“). Ihre Helden wirken aber in ihrem Vorhaben etwas dilettantisch, verwirrt und gleichsam von dem Phantasma geplagt, an einem deplatzierten Ort zu sein. Nebenbei treten auch Geschöpfe auf, die den herkömmlichen Zeitraum brechen und den Eindruck erwecken, ihre naturalisierte Vollkommenheit in einer Fremdwelt trotz des Angsthintergrunds erlangt zu haben („Roberta“, „Ball“).

Architektur als Eyecatcher für das Weltbild

Man glaubt, diese Räume zu kennen, in denen die Architektur nur noch als scharfe Begrenzung für die schwimmende, aufgelöste Wahrnehmung existiert, indem ihre modernen Erscheinungsformen das Selbst in außerirdische Sternenwelten hinaustragen. Der innerste Hintergrund ist aber schwarz und still. Solche architektonischen Auswüchse stellen Plavcaks Bilder wie „Mobilmaschine“ oder „Dig Deeper“ dar. Sie zeigen groß angelegte Raumstationen, auf denen irdische „Lebenswelten“ im Begriff sind zu entstehen, im Weltraum-Vakuum. Sie erinnern an Orte der utopischen Metamorphose, von denen man noch um 1960 glaubte, sie könnten die neue Gesellschaft versammeln. Im Vordergrund des Bildes „Dig Deeper“ greift der riesige Bagger (ILLUSTR:) wie eine überzeichnete Hand nach den Dingen, die bald in Brauchbares umgewandelt werden. Es ist der nächste Schritt zur Welterzeugung. In dem Bild „Mobilmaschine“ gibt es auch, wie in der griechischen polis, den eingefassten Raum, der ringförmig geschlossen ist und dessen Mitte eine Leerstelle bildet – eine De-Realität – die erst mit Existenz erfüllt werden soll. Aber von welcher Art wird diese sein?

Die Bilder von Katrin Plavcak verflüssigen und verwirren die Referenzen im Hinblick auf die Erzählung, in der es um Dekodierung dessen geht, was in der Gegenwart geschieht. Es gibt piktorale Akzente und chromatische Energiequellen, hereinstürzende Ufos, blinkende Formkulissen, Sterne und Lichter, mehrere Codes können auf einmal angewendet werden, weil ideologische Zwänge verschwunden sind. Auf diese Art und Weise offenbaren ihre Arbeiten gleichzeitig einen Kosmos der menschlichen Verhaltensmuster, Gefühle und ihrer medialen Repräsentanz, die individuelle Phantasie und kollektive Emotionen stark beeinflussen. Dabei wird aber immer wieder auf Haltung und Ethik der ganzheitlichen Raumatmosphäre Rücksicht genommen: statt der Trennung zwischen dem „ich“ und dem „anderen“, Maschine und Lebenden, Natur und Kultur, Erde (hier) und Kosmos (dort) kündigt sich eine originäre Synthesis an, in der statt Eroberung, Kriege und Fortschritt die Vorstellungen von partnerschaftlichen Beziehungen einer sich formierenden Gemeinschaft im Vordergrund stehen. Die gleiche Absicht gilt auch den Relationen zwischen diversen Kunstmedien, die die Künstlerin in ihrem Schaffen einsetzt. Sonst droht uns auch die Atmosphäre selbst zum Schlachtfeld eigener Art zu werden“. (11)

Natürlich sind alle hier erwähnten Interpretationstropen lediglich als eine Hilfskonstruktion zu sehen, anhand derer /mit der versucht wird, sich der Bedeutung der Kunst und Malerei von Katrin Plavcak ansatzweise zu nähern. Heute ist nicht nur die Kunst, sondern auch der theoretische Zugang zu ihr „flüssig“, fragmentarisch und launisch geworden. Daher entstehen mehr Subtexte und Einleitungen als strikte wissenschaftliche Abhandlungen über sie. Da kann einer/eine höchstens zum Spurensucher oder Aufspürer der oft trügerischen, flüchtigen, fügsamen, verkehrten und verwischten Spuren sowie ihren rhetorischen Figuren werden. Um in die Nähe eines Phänomens zu kommen, können die Scherben einer desaktualisierten Theorie, eine beliebige Interpretationsidee oder die angeborene Intuition von größerem Vorteil und größerer Verführungskraft sein als irgendeine konventionelle anerkannte Norm und Form.

 

1 Vgl. Catherine Malabou, Was tun mit unserem Gehirn?, Zürich-Berlin, 2006
2 Peter Sloterdijk, Sphären III. Schäume, Frankfurt am Main, 2004, S. 78
3 Michel Foucault, Andere Räume, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute, Leipzig, 1992, S. 37
4 Peter Sloterdijk, ebd., S. 162
5 Martin Prinzhorn, Wenn aus der Form Attitüde wird, in: Katrin Plavcak, Schlaflabor, Graz, 2002
6 Jean-Francois Lyotard, Essays zu einer affirmativen Ästhetik, Berlin, 1982, S. 78 
7 Vgl. Giorgio Agamben, Die kommende Gemeinschaft, Berlin 2003, S. 23
8 Giorgio Agamben, ebd., S. 24-25
9 Vgl. Michael Diers, Grauwerte. Farbe als Argument und Dokument, in: Fotografie Film Video. Beiträge zu einer kritischen Theorie des Bildes, Hamburg, 2006 S. 53
10 Timothy Leary, Das Interpersonale, Interaktive, Interdimensionale, Interface, in: Cyberspace. Ausflüge in virtuelle Wirklichkeiten, Manfred Waffender (Hg.), Hamburg, 1991, S. 277
11 Peter Sloterdijk, ebd., S. 187