Galerie Mezzanin

Lieber Maler, male mir..../, Wien 2002, 
Ausstellungskatalog, Kunsthalle

 

Interview mit Sabine Folie und Gabriele Mackert

 

SF/GM: Setzt du Realismus und Figuration ein, um deine Eindrücke und Ideen direkt umzusetzen? Dienen die realistischen Mittel dem Geschichten erzählen?


KP: Ich verwende viele Fotos, die ich auch aus den Medien beziehe: Aus Zeitungen oder nachts vor dem Fernseher fotografiere ich Szenen ab, die mir nahe gehen; mich interessiert, wenn Bilder durch Schleis-sigkeit oder Unschärfe schon a priori abstrahiert sind. Es geht mir nicht darum, ein Bild tadellos zu übertragen. Es muss etwas geben, das mich gefangen nimmt. Dann versuche ich, die Idee ins Bild zu kriegen. Deshalb ist Nan Goldin als Bilderlieferantin für mich wichtig. Ich sah mich nie in Konkurrenz zur Fotografie. Ganz im Gegenteil: Sie hat mir bei meiner Malerei sehr geholfen. Schnappschüsse müssen "abliegen" bevor ich sie verwende.

 

SF/GM: Das hört sich nach einigen Umwegen an und nicht nach Spontanität oder "Authentizität".


KP: Der Entstehungsweg eines Bildes ist relativ verschlungen. Die Umsetzung schnell. Ich muss wirklich sicher sein, bevor ich etwas male, weil ich finde, dass die Malerei eine ruhige Qualität hat. Ich messe dem einzelnen Bild einen großen Wert bei. Daher arbeite ich nicht in Serien. Es ekelt mich vor zu vielen Bildern.

 

SF/GM: Setzt du Montage als Methode ein? Oder handelt es sich um verschiedene Bilder, die du in Beziehung zueinander setzt oder kombiniertst du Bild aus deinem Erinnerungsreservoir?


KP: Es gibt beides. In letzter Zeit führe oder setze ich die Bilder weniger zusammen. Das einzelne Bild beansprucht nicht Absolutheit. Ich arbeite an Interessenszyklen, die in einer Nähe zueinander entstanden sind und die deswegen auch eine gewisse Verwandtschaft haben.

 

SF/GM: Deine Beschreibung des Malprozesses hört sich an, als würde es keine Vorzeichnungen geben.


KP: Ich bin nicht gerne stundenlang im Atelier. Wenn ich ein Bild mache, muss das sehr schnell passieren. Die Bilder sollen alle Transparenz und Leichtigkeit haben, und nicht durch wahnsinniges Malen zustande kommen. Wenn die Idee klar ist, soll sie für mich so schnell wie möglich niedergelegt werden. Eine vorzeichnung würde zuviel festschreiben. Ich mache kleine Skizzen, aber keine großartigen Entwürfe. Ich arbeite sehr viel mit einem Projiziergerät und da schau ich mir das vorher an.

 

SF/GM: Lassen diese technischen Hilfsmittel mehr Möglichkeiten, Flächen zu füllen und in diese Muster hinein zu imaginieren?


KP: Es ist ein Hilfsmittel für die Komposition. Es erleichtert die Dinge. Ich habe drei Jahre bei Hollegha, also bei einem abstrakten Maler studiert, danach bei Sue Williams. Das war ein großes Kontrastprogramm. Sie hat mich gefragt, warum ich keinen Projektor verwende. Vorher war das total verpönt – dabei erleichtert es die Sache ungemein.

 

SF/GM: Deine heterogene Malweise, verschiedene Arten des Malens, der Zeichnung, des pastosen oder weniger pastosen Pinselstriches zu verwenden, erinnert an die Theorie der "rauen" und "feinen" Manier zu Rembrandt. Die "feine" Manier sei die des jungen, die "raue" die des alten Rembrandt. Inzwischen ist man darauf gekommen, dass die feine und die raue Manier eigentlich das ganze Leben lang nebeneinander existiert haben und er sie fallweise eingesetzt hat, je nachdem, was er wollte.


KP: Ich setze die Mittel nicht pro Bild ein. Wenn ich an das Bild Nackte Fische denke, erkennt man dort gewisse Schwerpunkte. Wo Stellen verdichtet gemalt sind und andere eher auslassend oder ins Abstrakte abgleiten. Dadurch kann man den Blick des Betrachters lenken oder ihm Raum lassen, den er ausfüllen kann.

 

SF/GM: Spielt Virtuosität für dich eine Rolle? Stellt diese heterogene, eher unauthentische, eklektizistische Malweise einen Gegensatz zur Virtuosität dar?


KP: Das Wort Virtuosität ist für mich fast ein Fremdwort. Es beschäftigt mich nicht. Ich eigne mir die Mittel an, die notwendig sind, um meine Ideen umzusetzen.

 

SF/GM: Und trotzdem ist die Malerei kein arbiträres Mittel, sondern ein dezidiert eingesetztes?


KP: Ja. Obwohl ich mich nicht auf die Malerei festlegen möchte.

 

SF/GM: Dieser erwähnte Ekel vor Bildern, ist das ein Zurückscheuen vor der Repräsentationsmacht eines figurativen Bildes oder Angst vor möglicher Banalität?


KP: Früher malte ich nach der Methode trial and error. Da waren immer einige dabei, die in Ordnung waren. Jetzt versuche ich zurückzuschrauben. Der Ekel ist eher so zu verstehen: Ein gemaltes Bild entwickelt Eigenleben und Charakter, die ich nicht durch zu viele Bilder zerstören möchte. Ich möchte nicht ins Produzieren geraten ...

 

SF/GM: Die Betonung liegt auf den Einzelbildern. Trotzdem gibt es Leitlinien oder Themen, die sich durch dein Werk ziehen. Bei der Auswahl deiner Arbeiten haben wir uns eher patchworkartig angenähert. Dabei entstand eine Konfrontation von je zwei Motiven, die zugleich unabhängig voneinander funktioniere: Nackte Fische und Geister, Emigrant und Immigrant, Listen to und More. Auf der einen Seite diese Traum-Kinderwelt, die teils von Filmen beeinflußt ist, dann der sozio-politische Aspekt und drittens der alltags-, jugend- und popkulturelle Hintergrund. Interessanterweise scheinen diese thematischen Stränge je andere malerische Mittel oder Sprachen auszubilden. Oder tappen wir in eine Oberflächenfalle?


KP: Für mich bildet ein Bild eine relative Homogenität. Es stimmt, dass es verschiedene Themen gibt: Kinder, Verletzlichkeit z.B: und wie das Schwache Kraft bekommt und mysteriöse, unheimliche Kräfte entwickelt. In Nackte Fische habe ich versucht, eine Mischung aus Monets Seerosen und Stephen King zu produzieren. Der Horrorfilm interessiert mich sehr: die Kameraführung in, wie die Bilder eingefangen werden und wie der Betrachter einbezogen wird: Man sieht den Ausschnitt eines Bildes, dann wird der Blick teilweise verstellt, das Kreisen um eine Szenerie, eine normale Situation und plötzlich passiert etwas Unheimliches. Das ist oft nur ein kleines "Verrücken".

 

SF/GM: Namensgebend sind die Fische – komischerweise "nackte". Dieses Spiel mit dem Tautlogischen erzeugt einen erstaunlichen Mehrwert. Die Fische im Vordergrund sind negativ eingesetzt, weitestgehend nur weiße Stellen.


KP: Sie sind nackt und verletzlich und für die Kinder vielleicht grausig, wie sie da im dunklen Wasser liegen und im Unterbewusstsein herumfliegen.

 

SF/GM: Die Techniken der Leerstelle, der Auslassung, der Ausfransung, sind auch Medien von Ausdruck, die etwas transportieren.


KP: Sie sind eine Stärke der Malerei, wie zum Beispiel Polke oder Kitaj sie praktiziert haben. Das Provisorische ist sehr wichtig. Manche Stellen sind auch deswegen nicht gemalt, weil ich nur das Notwendigste machen möchte. Wenn ich das Gefühl habe, es ist schon erreicht, was ich zeigen möchte, da ist genug Farbe, dann will ich das nicht "über"arbeiten. Ich versuche, mich zu diesem Punkt des "Genug" vorzuarbeiten.

 

SF/GM: Welche malerische oder unmalerische Position hat deinen Prozess der Bildfindung beeinflusst?


KP: Die Farbigkeit Luc Tuymans’: Das Helle, Überbelichtete. Seine Transparenz und Leichtigkeit liegt mir sehr. Oder zum Beispiel Neo Rauch, bei dem man das Gefühl hat, dass die Bilder in einer Art schlafwandlerischer Aktion entstehen. Man hat das Gefühl, dass ihnen ein neuer Geruch anhaftet. Die poetische Art, Politisches zu verarbeiten bei Tuymans oder Kentridge.

 

SF/GM: Wie ist das Verhältnis von Fiktion, Realität, Dokumentation?

KP: Rauch fantasiert ja auch: malt Menschen mit Schwänzen hinten dran. Der Schritt ins Fiktive ist eine große Möglichkeit der Malerei.

 

SF/GM: Kentridge, Tuymans und Rauch haben eine explizite Ästhetik entwickelt und sich eine Bescheidung der Mittel und Effekte auferlegt. Rauch arbeitet nur mit Farben aus dem "DDR-Nachlass", weil bereits dem Malmittel eine Information eingeschrieben ist, die eine wichtige Komponente der Inhalte ist. Fasziniert dich diese formale Seite? Ist die Idee, einen Stil auszuprägen, wichtig für dich?


KP: Der entsteht automatisch mit der Zeit. Ich strebe das nicht an.

 

SF/GM: Hat die Figur Picabia für dich eine Bedeutung? Etwa die Nackten der vierziger Jahre?


KP: Ich habe eher seine "maschinellen" Bilder im Kopf. Die gefallen mir sehr gut, weil sie den Fortschrittsgedanken ironisieren. Ich verwende manchmal selbst pseudowissenschaftliche Anspielungen in meinen Arbeiten: technische Muster, zum Beispiel. Dabei geht es für mich um die Zeichnung und nicht um die Funktionalität.

 

SF/GM: Hat Picabias radikale Figuration, dieser Kitsch, überhaupt noch Relevanz oder stellt sie etwas schon Selbstverständliches dar? Ist sein damaliges Opponieren gegen den Modernismus, gegen die Zuschreibung von Abstraktion als dem Unideologischen, nicht- nazistisch Befrachteten etc. für Künstler deiner Generation noch relevant?


KP: Nehmen wir z.B. Herbert Brandl aus dem österreichischen Kontext, der große abstrakte Maler. Er malt inzwischen Blumen-Sujets. Ich habe nicht das Gefühl eines Streits. Das war bei Picabia sicher der Fall. Er wollte mit dieser Ästhetik, die ja sehr stark behaftet ist zu seiner Zeit wohl eher schockieren.

 

SF/GM: ... zumindest den Begriff Authentizität in Frage stellen. Du experimentierst in manchen deiner neueren Arbeiten durchaus mit Kitsch-Motiven.


KP: Wenn Kinder als Motiv per se kitschig sind, tue ich das. Das Bild Big Mama des Affen mit dem Blumenkranz ist einfach eine Überhöhung, wie ein Podest, etwas, das dort nicht hingehört. Mich interessieren diese widersprüchlichen Zuschreibungen als Möglichkeit des Kontrastes zum Horror.