Galerie Mezzanin

Mag. Tina A. Teufel, Hallein 2004
Text zur Ausstellung "der Plan zu verschwinden", Galerie Pro Arte

Der Plan zu verschwinden

 

Die Bibel und Heiligenviten, historische Ereignisse und literarische Themen bildeten über Jahrhunderte wichtige Inspirationsquellen für das künstlerische Schaffen. Manche Einflüsse waren temporär, andere wurden in den unterschiedlichsten Perioden immer wieder aufgegriffen und neu interpretiert. Künstlerinnen und Künstler fanden ihre Motive in allen erdenklichen Medien sowie ihren eigenen Erfahrungen. Auch wenn sich die Art der Medien änderte, ihre Bedeutung als Quelle der Inspiration bleibt gleich.
Für Katrin Plavcak sind es Fotografien, Bilder aus Zeitungen, vom Fernseher abfoto-grafierte Stills, Schnappschüsse aus einer Welt der medialen Überflutung und aus dem Zusammenhang gerissene Erinnerungsfragmente. Gesammelt wird alles, was die Künstlerin interessiert, aber es kann einige Zeit dauern, bis es Verwendung findet. Die Eindrücke müssen reifen. Waren es früher hauptsächlich spannungsträchtige Motive aus Illustrierten und dem Fernsehen mit Sensationscharakter, so ist an den vorliegenden Arbeiten ein Wandel hin zu einem größeren Einfluss persönlicher Erfahrungen und unverarbeiteter Emotionen erkennbar.

Der Sorgfalt bei der Findung der Vorlagen steht eine schnelle Arbeitsweise gegenüber. Katrin Plavcak verzichtet bewusst auf Skizzen und Entwürfe, als Hilfsmittel verwendet sie allenfalls ein Projiziergerät. Die Malweise – in den vorliegenden Arbeiten Öl auf Leinwand - passt sie dem jeweiligen Sujet an, sodass ihre Arbeiten, wie auch an den für die Ausstellung gewählten Gemälden ersichtlich, sehr differenziert sind: Der Duktus des Pinsels verdeutlicht die rasche Malweise, teilweise wirken die Bilder aus der Ferne eher wie Zeichnungen oder Aquarelle.
Ein Hauptaugenmerk liegt auf der figürlichen Übersetzung der gewählten Motive, diese werden mitunter jedoch mit abstrakten Bildteilen kombiniert – so in Culture Clash oder Bootsy– oder in den Titel verbannt wie in Night under Construction. Allen liegt jedoch eine gewisse Erzählung zugrunde, die von Katrin Plavcak insofern abstrahiert wird, als sie dem Betrachter genug Raum für die Verarbeitung eigener Eindrücke und Erfahrungen einräumt, sie zu größerer Distanz wie in der Arbeit Große Motte oder zur unmittelbaren Einbeziehung in eine beklemmende Gefühlswelt zwingt. Es kommt zu einer Auflösung von Form und Farbe, die den Arbeiten einen Mehrwert verleiht, der die Bedeutung der Erzählung in den Hintergrund drängt. Eine Gleichzeitigkeit von Abstraktion und Gegenständlichkeit wird angestrebt und finden in den Überlappungen ihre Anwendung.
Eine intensive Gefühlswelt ist insbesondere in Never Lost, Always found und Herzschlag spürbar die – meiner Meinung nach – zusammengehören. Plavcak lehnt die Anfertigung von Serien eigentlich kategorisch ab, dennoch lassen sich Zusammenhänge zwischen diversen Arbeiten nicht leugnen. Die Bilder zeigen einen verängstigten Hund, in dessen Ohr im ersten Gemälde ein Chip eingepflanzt wird, im zweiten wird dieser anhand eines Messgerätes überprüft und schließlich wird das Herz des Tieres von einem Arzt in dessen Praxis – es könnte auch eine OP-Saal sein – untersucht. Die Unmittelbarkeit des Ausschnitts, die Größe der Zeichen der menschlichen Intervention in Form riesiger Hände und des Messgerätes verstärken die emotionale, mitleiderregende Gestik des Hundes, dessen leere, angsterfüllte schwarze Augen eine starken Kontrast zu den in Weiß und Rosa gehaltenen Versatzstücke menschlicher Respektlosigkeit gegenüber anderen Lebeweisen bildet. Der Hund verschmilzt mit seinem ockerfarbenen Fell fast mit dem eintönigen Hintergrund – Sinnbild seines ersichtlich sehnlichen Wunsches, zu verschwinden, aus den Fängen der Menschen erlöst zu werden. Und genau das macht die dargestellte Erfindung des Homo Sapiens unmöglich.

Der Wunsch zu verschwinden, unsichtbar zu werden, in ein Loch zu versinken, zieht sich als roter Faden durch die hier ausgestellten Arbeiten. Katrin Plavcak führt dies auf eine Erinnerung aus der Schulzeit zurück.
Ganz explizit auf diesen Wunsch des Verschwindens bezieht sich das Gemälde Bright Light: Die Köpfe zweier junger Frauen ragen in starker Untersicht in das Bild, hervorgehoben durch das gleißende Licht einer am oberen Bildrand angedeuteten, weißen Sonne. Als Schutz vor der (farblichen) Verschmelzung dienen ihnen Hüte, die nur ob ihrer Position im Bild als solche erkennbar sind, denn eigentlich wirken sie wie schwarze Löcher, die sich hinter den Frauen auftun. Es scheint als würden sie von ihnen verschlungen werden, die unregelmäßige Form verleiht ihnen trotz ihrer Flächigkeit Bewegung. Farbliche Verknüpfungen mit dem Hintergrund und das Spiel zwischen Licht und Schatten auf den Gesichtern heben die Frauen jedoch aus dem Nichts hervor und verbieten ihnen ein Eindringen in die dunkle Unendlichkeit - ein Spiel zwischen Fläche und Raum, Farbe und Nichtfarbe, Licht und Schatten, das auch in Culture Clash oder Bootsy eine Anwendung findet. Gleichzeitig erinnern die geschlossenen und von Sonnenbrillen verdeckten Augen der Frauen an unsere Kindertage: Wenn ich meine Augen zu mache, bin ich weg und auch Du kannst mich nicht sehen.
Bootsy fügt dem allerdings die Komponente eines eingangs bereits erwähnten, abstrakten Bildteils hinzu. Man ist hin und her gerissen von unterschiedlichen optischen Eindrücken, es lässt sich nicht so eindeutig feststellen, womit man es zu tun hat: ist es eine Parallelisierung von Abstraktion und Figürlichkeit – Komponenten, die sich üblicherweise gegenseitig ausschließen – oder handelt es sich beim linken Bildteil schlichtweg um einen Vorhang, eine Wand, Teile eines Raumes, in welchem eine junge Frau in einem unsichtbaren Abgrund zu verschwinden droht? Die farblichen Verknüpfungen, das unregelmäßige Auftauchen ähnlicher Farben, die Barriere im Vordergrund, die die Betrachterin zu Distanz zwingt – dies sind nur einige der Bildelement, welche die Dualität verdeutlichen. Die Frau scheint zu fallen. Nur die untere Hälfte der Beine ragt in die Höhe, bekleidet mit hochhackigen Stiefeln. Im Zusammenhang mit dem sich dahinter öffnenden Raum, scheint aber zwischen dem Boden und den sichtbaren Beinen zu wenig Platz für den Körper eines Menschen zu sein. Tut sich im unsichtbaren Boden ein Loch auf? Wohin verschwindet die Person? Wieder drängt sich eine Auseinandersetzung mit der Gegenüberstellung von Raum und Fläche auf.

Sichtschutz, Barriere, Abstand sind Schlagworte, die mir bei der Betrachtung des Bildes Große Motte als erste in den Sinn kamen. Die regelmäßigen Querstreifen bieten aber nicht nur Schutz, sie gewähren im gegenteiligen Sinn auch Einblick, bzw. Ausblick auf eine Szene, die nicht unbedingt für ein Publikum bestimmt ist. Aber was ist in Zeiten uneingeschränkter Überwachungsmöglichkeiten an Privatsphäre noch möglich? Ist eine Überprüfung unserer geheimsten Gedanken und Wünsche der nächste Schritt der Big Brother-Generation?

Die futuristisch anmutenden Zwillinge in Double zeichnen diese schaurige Vision ab: zwei in rote, an Raumanzüge erinnernde Overalls stehen im Vordergrund des Bildes. Ihre Arme scheinen in Ketten gelegt zu sein. Das Besondere ist jedoch nicht ihre uniforme Kleidung, sondern die mit Monitoren ausgestatteten Helme, die einen Einblick in die Gedankenwelt der Frauen gewährleisten. Sind sie Sklaven der medialen Gegenwart? Im Gegensatz zu ihrer ähnlichen Erscheinung beweisen die Monitore die Individualität der beiden. Die Gedankenwelt lässt sich (noch nicht) in vorgesetzte Schranken verweisen und dennoch sind sie Referenzen zu Masse. Erkennbar sind Szenen bekannter Kinofilme: links Sissy Spacek in Stephen King’s Horrorklassiker Carrie, rechts Howard die Ente.
Noch heben sie sich deutlich aus der Masse hervor, aber wie lange wird es dauern, bis sich unsere Welt in eine „Brave New World“ verwandelt hat, in der nichts dem Zufall überlassen wird, in der sich Maschinen anmaßen, über uns zu bestimmen, uns zu gläsernen Menschen zu machen. Und dennoch: Die Sichtbarmachung Ihrer Gedankenwelt macht sie individueller als es die Menschen in der Gruppe hinter ihnen mit ihren maskenhaften Gesichtern sind. Man fragt sich unwillkürlich: Und was geht in deren Köpfen vor?

Katrin Plavcak übt offen Kritik an der sie umgebenden Welt. Sie verwendet ihre Mediensprache, um auf Problematiken aufmerksam zu machen, die aus dem teilweise unreflektierten, teilweise berechnenden, oft ethisch bedenklichen Umgang des Menschen mit sich selbst und seinen technischen Möglichkeiten reüssiert.
Schaffen wir es, uns rechtzeitig aus den Klauen der Technik zu befreien oder begeben wir uns – teilweise bewusst – in eine undefinierte Abhängigkeit? Kann jemand von uns mit gutem Gewissen behaupten, niemals daran gedacht zu haben, ohne Rücksicht auf Verluste alles einfach hinter sich zu lassen und ins Ungewisse zu verschwinden, sich einfach aufzulösen?
Diese Fragen gewähren nur einen geringen Teil jener Denkanstöße, die diese Arbeiten im Betrachter wachrufen. Ich lade Sie ein, sich auf eine Entdeckungsreise in die Welt Katrin Plavcaks zu begeben, und ich bin mir sicher, dass auch Sie von ihr gefesselt sein werden.